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Im Test: Der LG-Zaum

Es gibt beim Reiten und im Umgang mit Pferden viele Sachen, die man eben so macht, weil es alle so machen. Zum Beispiel ein Pferd in eine Box mit Stroheinstreu stellen, es mit Hafer füttern und es mit Sattel und Trense reiten. Das funktioniert bei den meisten Pferden gut. Und solange das Pferd damit ohne offensichtliche Probleme zurecht kommt, bleibt man eben einfach bei den Sachen, die man schon immer so gemacht hat.

Interessant wird es dann, wenn Probleme auftreten und man gezwungen ist, sich nach Alternativen umzusehen. Sam ist eine jetzt 7 jährige Oldenburger Stute von San Amour. Sie ist ein nettes, patentes kleines Pferd mit guten Nerven und viel Mut, sitzbequem, mit dunkler Jacke und einem für eine Stute sehr üppigen Aufsatz. Ein rundum nettes Pferd, wäre da nicht ihre grundsätzliche Abneigung gegen Gebisse.

Diese Abneigung zeigt sie durch große Unzufriedenheit, vor allem im Maul und generell in der Anlehnung. Es ist wahnsinnig schwer, eine weiche und gleichmäßige Verbindung aufzubauen. Sie wehrt sich schnell gegen das Gebiss, entweder mault sie stark gegen die Hand oder verkriecht sich mit klappernden Zähnen. Hinzu kommt, dass sie während des Reitens mindestens 4 mal äppelt und das ganze immer flüssiger wird, je länger man reitet, bis es wirklich zu Durchfall wird.

Wir haben seit fast zwei Jahren an diesem Problem gearbeitet. Es wurde ein Sattel extra angepasst und in sehr regelmäßigen Abständen auf gute Passform kontrolliert, das Gebiss getauscht, anders eingestellt, verschiedene Materialien ausprobiert, einfach, doppelt, gar nicht gebrochen, was der Markt da eben so hergibt. Der Rücken wurde mehrfach osteopathisch behandelt und akupunktiert, sie wurde mit Kräutern und Essenzen behandelt. Die Zähne wurden regelmäßig von einem Pferdezahnarzt gerichtet und wir haben verschiedene Futtermittel ausprobiert. Regelmäßiger Reitunterricht und verschiedene Bereiter haben sich dem Problem angenommen. Sie hatte Phasen, in denen es besser ging, dann wieder wirklich katastrophal schlechte Phasen. Wirklich richtig zufrieden lief sie aber einfach nie, solange sie ein Gebiss im Maul hatte.

Nach dem sie nun aktuell wieder eine ganz besonders unzufriedene Phase hatte, das erneute Anpassen des Sattels, Einrenken des Rückens und längeres Training ausschließlich an der Longe wieder keine Veränderung brachten, haben wir nun eben etwas ganz anderes versucht und einfach das Gebiss ausgeschnallt und gegen einen LG-Zaum getauscht.

Verschiedene Studien haben nun mehrfach die Verwendung von Gebissen sehr stark hinterfragt und Probleme aufgedeckt, die den meisten Reitern wahrscheinlich gar nicht bewusst sind. In der Maulspalte eines Pferdes ist eigentlich kein Platz für ein Gebiss. Das Gebiss regt den Speichelfluss an was zu Verdauungsproblemen führen kann, es verursacht Schmerzen an den Kinnladen und dem Gaumen und verursacht einen Reflexkonflikt zwischen den beiden Reflexen Kauen und Laufen. Ist das Maul des Pferdes geschlossen, ist es auf Atmen und Fliehen eingestellt. Das Gaumensegel ist so geöffnet, dass sie Luftröhre frei ist und die Speiseröhre verschlossen. Hat es nun aber ein Gebiss im Maul, löst dies die Reflexkette „Fressen“ aus. Das Gaumensegel gibt die Speiseröhre frei und verdeckt die Luftröhre, damit dort nicht versehentlich Futterreste hineingelangen können. Zusätzlich regt das Gebiss den Speichelfluss an. Weil dem Pferd schlucken und laufen gleichzeitig nicht möglich sind, läuft ihm der übermäßig produzierte Speichel aus dem Maul und bildet dort Schaum. Das Gebiss verursacht dem Pferd damit nicht nur Schmerzen, wenn es vom Reiter unsanft bedient wird, es löst auch durch seine bloße Anwesenheit im Maul schon Stress aus und kann dazu führen, dass das Pferd schlechter Luft bekommt.

Im praktischen Test hätte der Unterschied gravierender kaum sein können. Bereits bei der ersten Runde im Schritt war ein deutlicher Unterschied zu bemerken. Anstatt gegen das Gebiss anzugehen und sich gegen die Anlehnung zu verweigern, zog sie gut an den Zügel heran, trat fleißig und zufrieden durch den Körper und behielt den Takt im Schritt. Beim Antraben war sie zunächst sehr irritiert und wir brauchten einige Anläufe, bis sie Vertrauen in die neue Zäumung gewonnen hatte und sich auch hier an die Hand heran dehnte.

Das Pferd ist mit dem LG-Zaum wirklich wie ausgetauscht. Sie lief in den letzten zwei Jahren nicht einen einzigen Tag so zufrieden wie jetzt mit dem Glücksrad. Sie tritt endlich an das Gebiss heran, schwingt fleißig über den Rücken, streckt sich in die Tiefe ab, nimmt Stellung und Biegung an, Paraden erzeugen keine Gegenwehr mehr. Die Wandlung ist wirklich kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass sie erst drei mal mit dem LG-Zaum geritten wurde.

Der LG-Zaum ist dabei vom Reitgefühl nicht anders als ein Gebiss. Als Reiter muss man sich nicht auf eine andere Reitweise einstellen. Auch dem Pferd ist die Umstellung sehr leicht gefallen und benötigte nicht mal eine halbe Stunde. Erstaunlich ist auch, dass sie mit dem LG-Zaun während des Reitens nur noch ein einziges Mal äppelt und das in völlig normaler Konsistenz. Offensichtlich hat ihr das Gebiss im Maul derartigen Stress gebreitet, dass sich das direkt auf die Verdauung ausgewirkt hat. Ich hatte immer angenommen, sie stresst sich vom Reiten an sich, also vor allem auch dem Reiter, den anderen Pferden, der Trennung von der Herde. Ihr Stress rührte aber alleine vom Gebiss, nicht vom Reiten an sich. Mit Entfernung des Gebisses sind auch die Verdauungsschwierigkeiten komplett aufgehoben. Das hätte ich mir wirklich nicht von einer so einfachen Maßnahme erträumen lassen.

Sam hat so lange versucht uns verstehen zu geben, dass sie mit dem Gebiss im Maul nicht zurecht kommt. Wir haben alles mögliche ausprobiert und dabei das einzig wichtige, was doch eigentlich so naheliegend ist, außen vor gelassen. Weil man eben mit Gebiss reitet und das alle machen und schon immer so gemacht haben.

Es lohnt sich, unseren Pferden besser zuzuhören und auch für Alternativen offen zu sein, die vielleicht nicht so üblich sind. Ich persönlich bin bisher mehr als überzeugt von dem LG-Zaum. Damit will ich nicht sagen, dass er das Allheilmittel für alle Rittigkeitsprobleme ist und von jedem Pferd so gut angenommen wird. Pferde sind Individuen und jedes hat andere Vorlieben und auch anatomische Vorraussetzungen. Für Sam ist der LG-Zaum genau das richtige, was nicht heißen muss, dass er für jedes Pferd so gut funktioniert. Weil ich aber so positiv überrascht von dem Zaum bin, möchte ich ihn gern auch beim Zausel ausprobieren, auch wenn der keine augenscheinlichen Probleme mit dem Gebiss hat.

 

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