Haltung, Pflege
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Der zweite Winter ohne Decke

Wer den letzten Tagebucheintrag vom Zausel gelesen hat, hat vielleicht gesehen, dass er im Moment seinem Namen mal wieder alle Ehre macht und mit dickem Plüsch im Offenstall steht.
Er trägt dieses Jahr zum zweiten mal keine Decke und ist natürlich auch nicht geschoren.
Schon letztes Jahr hatte ich euch von unserem ersten Winter ohne Decke berichtet (zum noch mal lesen gehts hier lang). Wir sind eher unfreiwillig zum Pelz gekommen, durch mehrere große, offene Wunden konnte ich den Zausel letztes Jahr nicht eindecken. Da ich ihn während des Heilungsprozesses eh nicht reiten oder trainieren konnte, hatten wir bis Januar auch keine Probleme mit dem Schwitzen. Als wir dann im Februar aber langsam das Training wieder aufnahmen, hat mich das schwitzen und auch das ständig dreckige Pferd doch ganz schön genervt und ich habe mir fest vorgenommen, den Zausel im nächsten Winter wieder einzudecken, vielleicht auch zu scheren.

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Aber dann kam erstmal das Frühjahr und während der ganze Stall täglich mit den Decken hin- und herjonglierte, die Pferde aus- und wieder ein, dann wieder aus und dann doch noch mal eingedeckt wurden, war ich himmelfroh, dass sich mein Zauselchen seinen Winterpullover einfach ganz langsam selbst auszog und ich mir um dieses ganze Gehampel keine Gedanken machen musste. Doch ganz schön praktisch, so ein uneingedecktes Pferd!

Im Sommer stellte sich die Deckenfrage dann natürlich nicht, bis die Tage kürzer wurden, die Nächte schon ganz schön kühl waren und sich der ganze Stall wieder mit dem ein-, aus- und umdecken beschäftigte. Öch nööö, geht das wieder los!
War das eigentlich wirklich so schlimm letzten Winter ohne Decke? Und was kann das Winterfell eigentlich? Ist es nicht eigentlich die beste Decke überhaupt?

„Mach nicht einfach nach, was in der Reiterei üblich oder populär ist. Geh Deinen eigenen, authentischen Weg – Deinem Pferd zuliebe! Es wird Dir diesen Weg weisen, wenn Du nur gut zuhörst!“
Tuuli Tietze

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Ich wollte es ein bisschen genauer wissen und habe den ein oder anderen Artikel zum Thema Winterfell gelesen, auch hier auf Horsediaries haben wir das Thema ja schon mal aufgegriffen in dem Artikel „Wollen Pferde eine Decke tragen?“ und es gibt eine ganze Reihe spannender Studien und wissenschaftliche Texte, die sich mit dem Pelz beschäftigten (zum Beispiel hier: Thermoregulation -Was ist das? .

Pferde sind bestens an unsere Klimaverhältnisse angepasst und können sich mit Hilfe ihres Winterfells ganz hervorragend gegen Kälte schützen. Nur damit es nicht friert, braucht kein (gesundes) Pferd eine Decke. Ganz im Gegenteil: Keine Decke ist so effektiv, wie sein eigener Kälteschutz.

Man spricht von Thermoregulation, wenn man die Mechanismen und Strategien des Pferdes beschreibt, seine Körpertemperatur konstant zu halten, auch wenn sich die Außentemperatur deutlich von dieser unterscheidet. Während es im Sommer bei heißen Temperaturen zum Beispiel durch schwitzen verhindert, dass der Körper überhitzt, verhindert es im Winter unter anderem durch ein dickes Winterfell, dass der Körper auskühlt. Das ist überlebenswichtig, schon bei geringen Abweichungen von einigen Grad Celsius von der Normaltemperatur von ca. 37,3-38,3 °C geraten wichtige Körperfunktionen durcheinander.

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Der Zeitpunkt, wann ein Pferd anfängt vom dünnen Sommerfell zum dichten, längeren Winterfell zu wechseln, wird durch das Tageslicht und die Dauer der Tage bestimmt. Dass ein Pferd sein Fell wechselt hat also zunächst nichts mit den Temperaturen zu tun, wohl aber die Länge und Dichte des Fells. Diese wiederum ist aber auch abhängig von den Genen und damit auch seiner Rasse, außerdem dem Alter und den äußeren Einflüssen, die auf das Pferd einwirken, also zum Beispiel Haltung und Fütterung.

Im dichteren, längeren Winterfell wird mehr Luft eingeschlossen. Das liegt auch daran, dass Pferde im Winterfell eine Art Unterwolle ausbilden. Diese Haare sind weicher, etwas kürzer und heller als das Oberhaar. Sie wirken isolierend und schützt den Körper davor, auszukühlen, auch wenn die Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt liegen. Es isoliert sogar so gut, dass Schnee auf dem Rücken und der Kruppe liegen bliebt, weil der Körper so wenig Wärme an die Umgebung verliert, dass der Schnee nicht schmilzt. Sollte die Isolationsschicht mal nicht ausreichen, kann das Pferd anhand kleiner Muskeln an jeder Haarwurzel seine Haare aufstellen und so noch mehr Luft in seinem Fell einschließen. Der isolierende Effekt wird somit verstärkt. Liegt allerdings eine Decke auf dem Fell, ist diese zu schwer und das Fell wird platt gedrückt. Das Pferd kann dann auf Temperaturschwankungen nicht mehr reagieren und ist darauf angewiesen, dass die Decke ausreichend wärmt. Pferde, die ständig eingedeckt sind, können sogar die Fähigkeit verlieren, das Fell aufzustellen, weil die Muskeln an den Haarwurzeln verkümmern. Hier kann also eine Decke die Thermoregulation des Pferdes stören und sogar dazu führen, dass es eher auskühlt, wenn die Decke nicht warm genug ist.

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Das Pferd produziert laufend als Nebenprodukt seines Stoffwechsels Wärme, die die Körpertemperatur konstant auf ca. 38 °C hält. Ist es im Winter besonders kalt, verbrauchen Pferde mehr Raufutter, um sich aufzuheitzen. Es ist daher wichtig, sie besonders im Winter mit reichlich Raufutter zu versorgen, damit der Stoffwechsel laufend Wärme produzieren kann. Auch Bewegung erzeugt Wärme und ein uneingedecktes Pferd sollte die Möglichkeit haben, sich durch Bewegung aufzuwärmen. Durch das erweitern oder zusammenziehen von Blutgefäßen kann das Pferd außerdem seine Temperatur beeinflussen. Je weiter die Gefäße sind, desto mehr Wärme geht an die Oberfläche verloren. Das kann man gut im Sommer beobachten, wenn bei einem Pferd unter hoher Leistung die Adern an Hals und Schulter hervortreten. Alle Gefäße, die dicht unter der Haut liegen, werden geweitet, hinzu kommend schwitzt das Pferd und kann sich so über die Verdunstung abkühlen. Andersherum ziehen sich bei Kälte die Gefäße zusammen, direkt unter der Haut wird nur noch wenig Blut entlang geleitet und es geht so weniger Wärme an die Umgebung verloren.

Eine wirkliche Herausforderung für die Thermoregulation des Pferde sind anhaltende Nässe und Luftzug. Beides kühlt den Körper aus. Zwar ist das Fell auch gegen Nässe geschützt, in dem es die Haut ständig über die Talgdrüsen mit einem fettigen Film versorgt, der Wasser abperlen lässt, aber grade bei Pferden, die geputzt werden und regelmäßig schwitzen, kann diese Schutzschicht nicht optimal ausgebildet sein. Sofern es sich nicht um ein völlig naturbelassenes Urviech mit nordischem Einschlag handelt, sollte schon ein Wind- und Wetterschutz vorhanden sein, in dem das Pferd vor allzu ungemütlichem Wetter Schutz suchen kann.

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Sollte es Pferden mal wirklich kalt werden, fangen sie an zu zittern. Hier greift es auf den schon genannten Mechanismus zurück, dass arbeitende Muskeln Wärme erzeugen. Durch das schnelle an- und abspannen großer Muskelstränge, meist in Kruppe, Rücken und Schulter, schmeißt das Pferd sein eigenes kleines Kraftwerk an und verhindert so, dass es auskühlt. Zittern gehört also zur normalen Thermoregulation des Pferdes, wenngleich es die Notlösung ist, wenn alle anderen Mechanismen nicht mehr ausreichen.

Das Pferd ist also mit einer ganzen Reihe an Mechanismen ausgestattet, um seine Körpertemperatur zu halten und auch bei kalten Außentemperaturen nicht auszukühlen.

Allerdings greifen diese Mechanismen immer am gesamten Körper, das Pferd kann nicht gezielt einzelne Körperregionen aufheizen oder abkühlen. Und damit kommt es mit einer Decke in einen unlösbaren Konflikt. Während Rücken, Kruppe und Schulter von der Decke gewärmt werden, bleiben Hals, Beine, Bauch und Kopf ungeschützt und kühlen mehr aus als die eingedeckten Partien. Der Körper heizt gegen diesen Wärmeverlust an und unter der Decke entsteht leicht ein unangenehmer Wärmestau. Den Organismus und den Stoffwechel setzt das unter Stress, weil er nie eine zufriedenstellenden Zustand erreicht. Dieser Stress wirkt ständig unterschwellig auf das Pferd und belastet zum Beispiel sein Immunsystem.

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Weil man dem Pferd mit dem Eindecken oder Scheren einen wichtigen Mechanismus seiner Thermoregulation nimmt, nämlich das Aufstellen der Haare, muss sie stehts perfekt an die Außentemperatur angepasst sein. Ist sie nicht warm genug, kann sich das Pferd nicht selbst helfen. Gleichzeitig darf sie nicht zu warm sein, weil das Pferd deutlich eingeschränkt in seinen Möglichkeiten zur Abkühlung ist. Es hat erheblich weniger Oberfläche zur Verfügung, um sich mittels geweiteten Gefäßen und Schwitzen abzukühlen. Wer sein Pferd also eindeckt, muss wirklich sicherstellen, für jedes Wetter und jeden Temperaturunterschied die passende Decke parat zu haben. Und das bedeutet eigentlich auch, dass das Pferd Nachts eine andere Decke braucht als Tagsüber, auf dem Paddock in Bewegung eine andere als in der Box und wenn spontan die Sonne raus kommt eigentlich gar keine.

Apropos Schwitzen: Fängt das Pferd unter der Decke an zu schwitzen, kann die Feuchtigkeit meist nur sehr schlecht entweichen und es dauert ewig, bis Pferd und Decke trocknen. Eine nasse Decke kühlt aber auf Grund der Verdunstung aus und dem Pferd wird dann schnell zu kalt.

Dass eine Decke optimal passen sollte und an keiner Stelle Druck oder Scheuerstellen verursachen darf, auch wenn es „nur“ das Fell betrifft, sollte selbstverständlich sein. Dennoch sieht man überall Pferde, die eben solche Scheuerstellen von ihren Decken den ganzen Winter über ertragen müssen. Das ist unangenehm bis schmerzhaft und sollte keinem Pferd zugemutet werden.

Ein weiteres Problem neben den Scheuerstellen sind schuppige Haut, Pilzerkrankungen und juckendes Fell. Gesunde Pferdehaut braucht Licht, Luft und Pflege und zwar nicht nur durch den Striegel sondern vor allem in Form von ausgiebigem Wälzen, Fellkraulen und Schubbern. All das ist mit einer Decke nur sehr eingeschränkt möglich und beeinträchtigt das Wohlbefinden des Pferdes erheblich.

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Nach einiger Recherche bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Zausel den besten Kälteschutz einfach selber machen kann und keine Decke so gut funktioniert wie sein Pelz. Ganz im Gegenteil wirkt das eindecken oder scheren sogar negativ auf die Thermoregulation ein und führt außerdem zu einer Reihe von unnötigen Unbehaglichkeiten und Beeinträchtigungen des Wohlbefinden. Seine Haltung erfüllt alle Kriterien, die er zum Warmhalten braucht und ich habe keine Lust, mir 27 verschiedene Decken für jede Wetterlage vorzuhalten und diese ständig zu wechseln.
Dass er nicht gerne Decke trägt, hat er mir Jahrelang durch deutlichen Unwillen beim Auflegen gezeigt, Ohren anlegen und in die Brust zwicken inklusive. Ohne dass er am Anbinder festgebunden ist oder zumindest am Halfter gehalten wird, lässt er sich erst gar keine Decke auflegen sondern läuft einfach davon. Warum also nicht doch noch mal einen Versuch wagen, ohne Decke durch den Winter zu kommen?

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Wir haben nun März und damit schon das schlimmste geschafft. Im Herbst dachte ich kurz, mein kleines Weicheipferd braucht doch eine Decke, als die ersten kalten, nassen Tage kamen, hat er doch ganz schön gefroren und zitternd im Paddock gestanden. Wie ich ja nun gelernt hatte, hatte er damit sein kleines Kraftwerk angeschmissen, weil ich dem Tier aber zumindest ein bisschen Luxus gönnen wollte, gabs für ein Paar Tage eine Regendecke, bis das ganz scheußliche Wetter rum war. Bis zum nächsten Schmuddelwetter war dann der Pelz so dicht gewachsen, dass ihm das Wetter nichts mehr anhaben konnte. Ein guter Pelz wächst eben nicht über Nacht und wer ein empfindliches Pferd hat, sollte diese Zeit ruhig mit einer Decke überbrücken.

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Wir trainieren relativ normal, zwar nicht auf wahnsinnig hohem Niveau, aber ich kann ihn schon normal reiten. Er ist ein Pferd, welches eh schnell schwitzt, im Sommer wie im Winter. Unsere Stute ist auch nicht eingedeckt und die hat bei längerem Training und weniger Rücksicht auf den Pelz selten mal ein nasses Haar. Beim Zausel muss ich schon immer mal wieder Schrittpausen einlegen und bei viel Galopparbeit kommt er dann doch ganz schön in Schweiß. Das meiste trocknet dann aber bei einer Runde an der frischen Luft gut ab und wenn er noch sehr nass ist, gehts erstmal mit Abschwitzdecke ins Paddock. Je nach Witterung stelle ich ihn aber auch einfach so zum trocknen raus, solange es nicht zieht, trocknet er dort beim Heuknabbern. Er ist erstaunlich locker und selbst bei wirklich ekligem Wetter kaum spannig im Rücken, aber selbst das gibt sich nach einigen Runden Trab auch schnell wieder. Tatsächlich setzten ihm eher nasskaltes Wetter als wirklich anhaltender Frost zu.
Aber auch hier kann ich eine deutliche Abhärtung und Gewöhnung feststellen, während er im Herbst tatsächlich noch gefroren hat, steht er nun selbst bei anhaltendem Dauerregen und 3 Grad draußen im Paddok rum anstatt sich unterszustellen und friert dabei nicht.
Man bekommt mit der Zeit ein Auge dafür, ob es dem Pferd behaglich ist oder es etwas fröstelig aussieht. Dann stellen sie nämlich das Fell auf, gucken mürrisch, tragen den Kopf oft tiefer, ziehen den Schweif ein und drehen den Hintern in den Wind. Solange sie aber fröhlich und entspannt durchs Paddock laufen, frieren sie auch nicht, wenn wir mit klappernden Zähnen durch den Stall huschen.

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Einzig nervig bleibt der Dreck. Ein uneingedecktes Pferd sieht einfach aus wie ein Urvieh und nicht wie ein schickes Dressurpferd. Man bekommt das selbst mit stundenlangem Putzen nicht sauber, weil das aber eh nicht gut ist (des natürlichen Fettfilms wegen, den man dann mit ausbürstet) beschränke ich mich auf kurzes Ausbürsten des gröbsten Drecks mit einer Wurzelbürste und lebe ansonsten mit einem etwas urtümlich anmutenden Zausel. Es gibt schließlich wichtigeres als die Optik! Und eigentlich hatte ich auch schon immer etwas für Isländer und Shettlandponys über.

Ich freue mich schon aufs Frühjahr, wenn wieder alle Pferde ein- und aus-, dann doch noch mal ein- und zumindest tagsüber ausgedeckt, nachts aber wieder eingedeckt werden, während meins einfach ganz selbstständig jeden Tag ein bisschen mehr vom seinen Pullover ablegt.

 

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