Der Zausel heißt eigentlich Doc Holliday und ist ein Hannoveraner Wallach, geboren im Jahr 2003, also mittlerweile 11 Jahre alt. 5-jährig habe ich ihn nach langer Suche durch ganz Norddeutschland direkt vor der Haustür gefunden, nachdem sein Vorgänger im Alter von nur 9 Jahren bei einer Routineoperation einen Herzstillstand erlitt. Er war damals hochtalentiert, jung, schick und mein wahr gewordener Traum von einem Dressurpferd. Ich hatte ganz große Pläne und Reitlehrer, Verkäufer und alle, die ihn die ersten Tage bewunderten, fachten diese Träume nur weiter an.
Die ersten Wochen ritt ich auf Wolke sieben, wir fanden schnell zueinander und der Zausel machte sich super. Nach einem kurzen Infekt mit Fieber und Husten zu Beginn im neuen Stall berappelte er sich zügig und lernte wahnsinnig schnell unter dem Bereiter, ging bald erste Traversalen und Wechsel und bekam den Spitznamen Schlaufuchs.
Er war in Topform, voller Arbeitswillen mit einem leichten Hang zum Übermotiviertsein. Da er auf Grund einer Maukeerkrankung nicht auf die matschigen Winterpaddocks konnte, wurde er meist zwei Mal am Tag bewegt, um einigermaßen ausgeglichen zu sein.
Als es die Mauke wieder zuließ, ging er zusammen mit einem anderen Wallach für einige Stunden aufs Paddock und wurde deutlich gelassener. Wir waren auf einem guten Weg und wollten in die erste gemeinsame Saison starten. Leider hielt das Glück nicht allzu lange und nach einigen Monaten fing er an, sich entgegen meiner Erwartungen zu entwickeln. Er verlor deutlich an Muskulatur, wurde beim Reiten zunehmend unrittig und schließlich faul und triebig. Ab und an stieß er außerdem zu Anfang des Reitens ein-, zweimal an, der Tierarzt hörte ihn aber mehrfach ab und tat dies als leichte Reizung des Kehlkopfes ab.
Zunächst hielt ich die Veränderungen noch für die Folge des veränderten Trainings im Gegensatz zum Ausbildungsstall, der veränderten Haltung mit Paddockgang und des dadurch fehlenden Übermuts, bis ich irgendwann mein Pferd nicht mehr wiedererkannte. Er hatte stumpfes Fell, war matt und hatte jegliche Bewegungsfreude verloren. Mein damaliger Reitlehrer schob alles auf mein zu schlechtes Reiten und wollte ihn einige Zeit alleine reiten. Eine dieser Reiteinheiten öffnete mir dann schließlich die Augen: auch bei ihm war der Zausel steif und triebig, woraufhin er ihm mit Gerte und Sporen derart Beine machte, dass das Pferd zwar zugegeben schneller, aber nur noch spannig und hektisch durch die Bahn steppte und geradezu in sich zusammen fiel, als der Druck nachließ. Der Kommentar des Reitlehrers war: „Siehst du, geht doch!“
Das, was ich gesehen hatte, konnte ich nicht mit meinen Vorstellungen von pferdegerechtem Reiten vereinbaren und der Zausel war nur noch ein Schatten seiner selbst. Es ging ihm schlecht und ich hatte keine Idee warum. Also vereinbarte ich einen Termin in der Klinik, um der Sache auf den Grund zu gehen. Schon bei der Vorgeschichte mit dem gelegentlichen Anstoßen und dem Infekt im neuen Stall wurde die untersuchende Tierärtzin etwas hellhörig und kontrollierte nach dem Abhören die Blutgaswerte. Diese und die darauf folgende Bronchioskopie zeigten deutlich eine verschleppte infektiöse Bronchitis, die bereits zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff führte. Ich fühlte mich wahnsinnig schlecht, das Ganze übersehen zu haben und auf dem kranken Pferd so lange noch rumgeritten zu sein. Und um jeden Preis wollte ich verhindern, dass die Bronchitis chronisch würde.
Wir haben also sofort eine Behandlung mit cortisonhaltigen Atemsprays eingeleitet und die Haltung umgestellt. Seine Weidezeit wurde so ausgedehnt, dass er nur noch zum Fressen kurz in der Box stand und dann schließlich ein halbes Jahr an der Nordsee zur Kur verbrachte. Als wir ihn danach zurück holten, zeigte sich leider, dass er allergisch auf Stroh und Heu reagiert und eine Haltung in einem normalen Boxenstall nicht in Frage kommt.
Es folgte wieder eine Cortisonbehandlung, diesmal in Form
hochdosierter Cortisontabletten. Auch dies brachte nicht den gewünschten Erfolg und wir entschlossen die Haltung radikal umzustellen und einen Platz im Offenstall zu suchen. Dies gestaltete sich in Kombination mit guten Reitmöglichkeiten als äußerst schwierig, sodass wir schließlich zum Wohle des Pferdes dahingehend starke Kompromisse eingingen und ihn in einem Offenstall mit Grasplatz und ohne Halle einstellten. Zwar durften wir die Halle auf der Anlage gegenüber mitnutzen, dies wurde aber an immer abstrusere Bedingungen geknüpft, bis es praktisch gar nicht mehr möglich war. Da der Zausel auch nicht unbedingt ein verlässliches Ausreitpferd war, gestaltete sich das Reiten immer schwieriger. Der Grasplatz war eigentlich immer entweder zu hart oder zu matschig, in die Halle konnten wir auch nicht mehr und im Gelände fielen ich und meine RB mehrfach runter, während der Zausel den Heimweg alleine antrat.
Obwohl es dem Zausel mittlerweile lungentechnisch wirklich gut ging, befand er sich nach dem Wechsel in den Offenstall in einem wirklich schlechten Allgemeinzustand. Er bewegte sich äußert ungern und sehr steif, baute kaum Muskulatur auf, war matt und träge. Etliche Tierarztbesuche, Klinikaufenthalte und Untersuchungen brachten zwar den ein oder anderen Befund (u. a. einen leichten Herzfehler und eine leichte Magenschleimhautreizung) aber nichts, worauf sein schlechter Zustand zurückzuführen wäre. Nach einem letzten verzweifelten Versuch, irgendetwas zu finden, stellten wir ihn drei Tage zum kompletten Check Up in die Klinik und fanden: Nichts.
Daraufhin beschloss ich, das Pferd alternativ zu behandeln und ansonsten eben so zu reiten, wie es sein Zustand zuließ. Eine Tierheilpraktikerin nahm sich seiner an, behandelte ihn in regelmäßigen Abständen mit Akupunktur, leitete die vielen Medikamente aus dem Körper aus und baute ihn langsam und gründlich auf. Auch wenn ich davon eigentlich zu Anfang nicht so ganz überzeugt war, muss ich sagen, dass uns diese Behandlungen erheblich nach vorn gebracht haben. Sein Allgemeinzustand verbesserte sich zunehmend und er kam auf ein weitestgehend stabiles Level.
2012 ergab sich dann eine einmalige Möglichkeit für uns: Ein Bekannter übernahm eine Reitanlage mit allem Komfort und Luxus, die sich ein Reiter wünschen kann und erlaubte uns auf dieser Anlage einen Offenstall aufzustellen. Nach reiflicher Planung wurde das Ganze im Frühjahr umgesetzt und im August zog der Zausel in den neuen Stall. Für mich verwirklichte sich ein echter Traum: Ich hatte die Offenstallhaltung als pferdegerechte Haltungsform sehr zu schätzen gelernt und konnte mir nicht vorstellen, mein Pferd jemals wieder in eine Box zu stellen (davon abgesehen, dass dies natürlich auf Grund seiner Lunge eh nicht ging), vermisste aber doch sehr den Komfort und die Trainingsmöglichkeiten, die ein größerer Pensionsstall bot. Nun sollte also doch beides möglich sein: Artgerechte Pferdehaltung und optimale Trainingsbedingungen.
Seit zwei Jahren ist der Zausel nun also im neuen Stall und zeigt sich weitestgehend stabil. Er hat immer wieder Phasen, in denen er schlechter drauf ist, keiner weiß so richti, woran das liegt, wir haben die verschiedensten Theorien aufgestellt, aber eine eindeutige Ursache nicht feststellen können. Meistens ist er ganz normal reitbar und wirklich gut in Form, aber es kommen immer wieder Tiefphasen, in denen er steif und matt wird, deutlich abbaut und einfach schlecht drauf ist. Wir machen dann einfach ein bisschen Pause, er bekommt das Wellness-Programm mit Akupunktur und feinsten Nahrungsergänzungsmitteln und irgendwann geht es dann wieder bergauf. Weil er immer wieder mit Muskelproblemen zu tun hat, haben wir letztes Jahr komplett auf getreidefreies Futter umgestellt. Auch wenn zwei TÄ eine Erkrankung an PSSM ausgeschlossen haben, habe ich das Gefühl, dass er einfach immer wieder ein Muskelproblem hat und mit Eiweiß nicht so gut zurechtkommt. Durch die Futterumstellung sind wir noch mal einen Schritt weiter in Richtung stabilen Zustands gekommen. Diesen Sommer fing er zu Beginn der Weidezeit wieder etwas an zu schwächeln, gewöhnte sich dann aber offensichtlich an die eiweißreichere Kost. Nichtsdestotrotz scheint dies einer der auslösenden Faktoren zu sein.
Er wird wohl immer ein kleines Sorgenkind bleiben, aber mit dem richtigen Management haben wir ihn in den letzten Jahren ganz gut wieder hinbekommen. In seinen guten Zeiten ist er wieder ganz der alte, voller Energie, Lebensfreude und Kraft. Trotz aller Probleme bleibt er ein Wahnsinnspferd, welches einem ein unheimliches Reitgefühl vermittelt. Diese Phasen machen alle Mühen und allen Kummer, den er sonst schon mal bereiten kann, zunichte und führen einem immer wieder vor Augen, dass jeder Aufwand für dieses Pferd allemal lohnt. Wahrscheinlich schwärmt jeder von seinem eigenen Pferd in ähnlichen Höchsttönen, aber der Zausel ist in meinen Augen wirklich ein besonderes Pferd. Neben seinen Reitqualitäten ist er auch ausgesprochen menschenbezogen und macht eine Menge Quatsch mit. Die schlechten Phasen überbrücken wir mit ein bisschen rumtüddeln, Quatsch machen und ins Gelände schlendern.
Letztes Jahr konnte ich mir einen großen, lang gehegten Traum erfüllen: Einmal mit dem eigenen Pferd am Strand reiten. Für drei Tage sind wir nach Sankt Peter Ording gefahren und hatten eine grandiose Zeit. Das Gefühl mit dem eigenen Pferd über den endlosen Strand zu fliegen ist einfach unbeschreiblich.
Dieses Jahr waren wir für 5 Wochen mit den Pferden auf Sylt und haben einen sagenhaften Sommer genossen.
Apropos „den Pferden“: Im April letzten Jahres haben wir ein zweites Pferd für meine Mutter gekauft: Sam, eine nun 6-jährige Oldenburger Rappstute, des Zausel Frau sozusagen. Sie wird überwiegend von meiner Mutter geritten, ist ein mutiges, patentes, etwas barockes kleines Stütchen und nimmt den Zausel mit ins Gelände. Der traut sich nämlich nicht vorweg, läuft aber ganz entspannt und artig hinter seiner Frau her und macht dann auch draußen richtig Spaß.
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