Es gilt ja als absolutes No-Go unter Reitern, bei Ungehorsam oder Unrittigkeit in Punkto Ausrüstung aufzurüsten. Schärfere Gebisse, gemeinere Piekser, längere Stöckchen? Der Pferdefreund denkt nicht mal im Traum daran, seinen Vierbeiner mit härteren Waffen zu Gehorsamkeit und Benehmen zu überreden. Und das ist im Ansatz auch goldrichtig!
Aber manchmal – ganz manchmal (!) – kann so eine Aufrüstung doch die richtige Entscheidung sein, wenn man sie gründlich abwägt und sich der Waffe, die man da zu Hilfe nimmt, bewusst ist und diese gewissenhaft und wohl überlegt einsetzt.
Ich sage jetzt etwas, was im Internet unter Pferdeleuten eigentlich einem Himmelfahrtskommando gleichkommt und gute Chancen hat, einen Shitstorm auszulösen. Ich habe aufgerüstet. Ich reite den Zausel schwer bewaffnet ins Gelände. Die nette doppeltgebrochene Wassertrense wurde gegen ein böses Pelham getauscht und endlich können wir ohne Gefahr für Leib und Leben ins Gelände reiten.
Des Zausels Vorgänger Colibri trug den wohlverdienten Namen Rührstück. Er war nämlich eine echte Lebensversicherung im Gelände: immer artig, total unerschrocken und von sehr angenehmen Temperament. Kurz: Eine Seele von einem Pferd ohne einen einzigen schlechten Gedanken zwischen den Ohren. Viele wunderbare Ausritte, alleine, zu zweit, in größeren Gruppen, im Forst am Stall oder an einem Wochenende in der Lüneburger Heide, auf das Rührstück war immer Verlass. Außerdem verlegten wir unsere Schrittrunden vor jeder Dressureinheit meist nach draußen und sind eine gemütliche Runde ums Feld geritten, ehe wir die Arbeit auf dem Platz angefangen haben.
Colibri verstarb dann viel zu früh und überraschend während einer Operation am Fesselringband. Und dann kam der Zausel und mit ihm verschwanden sorgenfreie Ausritte und gemütliche Schrittrunden ums Feld.
Er war 5, ein Hitzkopf und hatte offensichtlich außer dem Viereck und der Halle noch nicht viel von der Welt gesehen. Unsere ersten Versuche im Gelände unternahmen wir an der Longe geführt: ich oben drauf, meine Mutter nebenher. Es sollten eigentlich kleine Runden nach dem Dressurtraining zum Trockenreiten werden, aber schon ein kurzes Stück den Weg vom Hof runter war eine echte Herausforderung, die dem Zausel derart Stress bereitete, dass er davon patschnass zurück in den Stall kam. Wir tasteten uns also behutsam immer ein kleines Stückchen weiter den Weg hinauf, solange bis wir zumindest nicht verschwitzter zurück kamen, als wir losgeritten waren. Ich stellte außerdem fest, dass andere Pferde dem Zausel viel Sicherheit gaben und wir mit einem ruhigen Pferd vorweg ganz entspannte Runden drehen konnten. Alleine sah er über all böse Gespenster im Gebüsch lauern und wir kamen den Weg nicht selten nur ein paar Meter weit und mussten dann wieder umdrehen. Oder aber der Zausel leitete die Umkehr einfach direkt selbst ein und floh in entgegengesetzter Richtung.
Nach dem wir einige schon wirklich entspannte Schrittausflüge mit anderen Pferden im Schritt unternommen hatten, wagten wir uns auch zu einer größeren Runde mit Trab und Galopp ins Gelände. Dort wurde das Zauselchen dann wahnsinnig heiß und fing an sich tierisch hochzuspulen, wollte ständig überholen und setzte dauernd zu wilden Sprints an. Ich hatte wirklich alle Hände voll zu tun und mir schmerzen die Arme. Ein wirkliches Vergnügen waren diese Ritte wahrlich nicht und ich hatte ständig Angst, die Kontrolle über den Feuerstuhl zu verlieren. Ich scheue mich irgendwie immer etwas vor dem Begriff Durchgänger, denn damit verbinde ich Pferde, die mit oder ohne Reiter bis nach Hause vor die Box laufen und ihrem Reiter total außer Kontrolle geraten. So schlimm war es mit dem Zausel zum Glück nicht, aber er setzte eben doch recht regelmäßig mit oder ohne ersichtlichen Grund zu unkontrollierten Sprints mit erheblichem Bremsweg an. Wir kamen dabei nie in eine gefährliche Situation, dennoch wurde ich mir des Risikos, dass doch mal was passiert, immer bewusster.
Nun war er eben ein junges Pferd, unerfahren im Gelände und sollte natürlich die Chance haben, zu lernen, wie sich ein gutes Geländepferd benimmt. Wir haben das Ausreiten geübt, immer und immer wieder, teilweise täglich. Wir hatten gute Tage, aber es blieben die Tage, an denen ich zumindest streckenweise keinerlei Kontrolle über das Pferd hatte. Hinzu kam seine unangenehme Angewohnheit, in seiner Meinung nach gefährlichen Situationen auf dem Absatz kehrt zu machen und in entgegengesetzter Richtung davon zu stürmen. Im Schritt konnte man diese Manöver einigermaßen gut sitzen und hatte dann nur seine liebe Mühe das hoch flüchtige Tier wieder unter Kontrolle zu bringen. Im Trab oder Galopp trennten sich unsere Wege leider auch einige Male und ohne Reiter, der ihn mit allen verfügbaren Mitteln an seiner Flucht hinderte, trat der Zausel den Heimweg ungeachtet des fehlenden Ballasts im Sattel in atemberaubenden Tempo einfach alleine an. Kaum hatte ich mich vom Boden hochgerappelt und mit dem Handy bei Stallkollegen angerufen, sie mögen ihn bitte in Empfang nehmen, tauchte er dort schon in Sichtweite auf. Und das, obwohl wir auf dem Hinweg eine gute halbe Stunde unterwegs gewesen waren.
Der Zausel wurde älter, erfahrener, aber leider irgendwie nicht gelassener oder berechenbarer im Gelände. Neben dem Bewusstsein über das Risiko mit so einem unberechenbaren Pferd auszureiten, kam dann auch bei mir die Angst hinzu. Ich klammerte mich im Sattel fest, um bei einer plötzlich eingeleiteten Wendung nicht hinunter zu rutschen, verspannte mich, sobald der Esel die Ohren spitze und wurde immer unsicherer. Und ich bemerkte auch eine Veränderung des Zausels: Seine Hemmschwelle, eine blitzartige Flucht einzuleiten, wurde immer geringer. Es entwickelte sich regelrecht zur Masche, sich bei jeglicher Unsicherheit postwendend vom Ort des Geschehens zu entfernen, und das so schnell und so weit die Füße trugen. Hatte er sich an einer Stelle festgeglotzt, kamen wir nicht selten bei jedem vereitelten Fluchtversuch immer ein Stückchen weniger dicht an das Objekt des Schreckens heran, bis eine beinahe lächerliche Distanz zwischen uns und dem jeweiligen Objekt entstand. Ich war mit mit unter nicht einmal mehr sicher, ob er überhaupt noch sehen konnte, wovor er grade scheute.
Weil das mit der eigenmächtig entschiedenen Flucht so eine wunderbare Möglichkeit war, den eigenen Willen gegen den seines Reiters durchzusetzen, trieb das Zauselchen es so weit, dass er bei Nichtgefallen der von mir eingeschlagenen Route einfach nach links oder rechts auf ein Feld abbog und Vollgas gab. Quasi der Stinkefinger auf pferdisch für den Reiter.
Nun bin ich eigentlich ein verständnisvoller Reiter und habe auch dem dünnen Nervenkostüm des geschätzten Esels gegenüber immer ein hohes Maß an Nachsicht entgegen gebracht. Aber wer mir mehrfach den Stinkefinger zeigt, verspielt dann doch alle Toleranz und mir wurde klar: entweder aufrüsten oder nicht mehr ausreiten.
Ich entschied mich für ersteres und kaufte ein Pelham. Das erste Mal ritt ich damit auf dem Platz und konnte keinerlei Einwände des Zausel gegen die neue Zäumung feststellen.
Im Gelände zeigte sich dann das Pelham als absolute Wohltat. Der Zausel lief zufrieden und mit leichter Verbinung, Blasen an den Händen und lange Arme gehörten der Vergangenheit an. Die meiste Zeit konnte ich ihn mit wirklich leichter Verbindung reiten, musste nicht mehr ziehen und zerren, damit überhaupt etwas ankam. In Situationen, in denen ich früher die Kontrolle verloren hatte und sie nur durch wirklich grobe Einwirkung zurück erlangen konnte, reichte nun eine deutliche Parade und der Zausel war wieder bei mir.
Natürlich ist das Pelham kein Wundermittel und macht aus einem Saulus keinen Paulus. Auch macht es heiße Pferde nicht ruhiger, schreckhafte nicht mutiger und wilde nicht braver. Aber durch die stärkere Einwirkung schafft es Sicherheit. Setzt man es wohlüberlegt und dosiert ein, kann man mit viel leichteren Hilfen reiten und trotzdem im Notfall deutlich durchgreifen.
Beim Zausel setzte durch das Pelham ein sehr erfreulicher Lernprozess ein. Er hatte sich über Jahre eine sehr unangenehme Strategie zur Bewältigung von potentiell gefährlichen Situationen angewöhnt, in der wir regelrecht gefangen waren. Bevor er überhaupt begann, sich mit dem Gruselobjekt auseinander zu setzten, war er schon mit wehendem Schweif auf und davon. Dadurch wurde er nicht mutiger und gelassener, sondern ganz im Gegenteil: Die Fluchtbereitschaft stieg sogar an. Durch das Pelham konnte ich dann seine Fluchtversuche sehr schnell verhindern und er musste lernen, anders mit ihm unheimlichen Situationen umzugehen.
Ich gestand ihm zu, so lange zu stehen und zu gucken, bis er sich traute, einen Schritt auf das Gruselobjekt zuzugehen. Es waren einige recht langweilige Ausritte, auf denen wir die meiste Zeit stehend verbrachten und er unter Hochspannung Mülleimer, Steine, Baumstümpfe und ähnliches anstarrte.
Aber mit der Zeit fasste er immer mehr Mut, traute sich schneller vor, ließ es eher zu, sich auch mal an etwas vorbei reiten zu lassen, ohne sofort abzuhauen.
Wir reiten jetzt seit guten 4 Jahren mit Pelham und er hat eine wirklich tolle Entwicklung gemacht. Er ist nach wie vor kein Verlasspferd und man sollte immer achtsam sein, wenn man im Gelände unterwegs ist. Aber er läuft sowohl an der Tête wie auch hinten und in der Gruppe artig und anständig, reagiert bei unbekannten Objekten zwar noch mit Stocken und Glotzen, aber er geht weiter und das Wichtigste: Er ist seit langem nicht mehr einfach umgedreht und abgehauen. Was für viele selbstverständlich sein mag, ist für uns ein großer Gewinn und es ist endlich eine richtige Freude ihn auszureiten.
Nun könnte man natürlich meinen, das Pelham hat nun seinen Dienst getan und kann wieder gegen die Wassertrense getauscht werden. Manche Runden haben wir auch schon so gedreht und auch mit der Wassertrense hat er inzwischen seine Fluchtstrategie abgelegt. Nicht aber den Wunsch, immer ein bisschen schneller zu sein, als er soll. Und hat er einen lustigen Tag und nur eine Wassertrense im Maul, kann es schon mal vorkommen dass er plötzlich aus Übermut den Turbo zündet und mir dann doch noch mal den Mittelfinger zeigt. Ich finde das unhöflich und reite daher nach wie vor am liebsten mit Pelham ins Gelände.
Dem Reitgefühl auf dem Platz hat das übrigens keinen Abbruch getan. Dort ist er auf Wassertrense angenehm zu reiten wie eh und je!
Ich weiß, dass viele Reiter dem Thema Aufrüsten gegenüber sehr negativ eingestellt sind. Trotzdem sollte man nicht außer Acht lassen, dass es in erster Linie um die Sicherheit von Pferd und Reiter geht. Um diese zu gewährleisten, kann in meinen Augen der Einsatz von schärferer Ausrüstung durchaus sinnvoll und sogar auch schonender für das Pferd sein. Lieber einmal deutlich durchgreifen anstatt permanent herumwürgen zu müssen. Es ist letztlich wie bei fast allen Dingen: es kommt auf die Dosierung und eine gute Portion gesunden Menschenverstand an.
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