Dies ist ein Gastbeitrag von unserer Leserin Franziska.Die Informationen und Ansichten dieses Textes stammen von Monty Roberts und seinem International Learning Center.
„Mein Name ist Franziska und ich komme aus dem schönen Paderborn in NRW. Ich habe mich vor kurzem dazu entschieden, die Ausbildung zum Monty Roberts Instructor zu durchlaufen und haben bereits meinen Introductory Course belegt. Aus diesem Grund lerne ich nun intensiv alles über die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd und wie Pferde wirklich lernen. Meine vier Pferde werden mich dabei als Versuchskaninchen unterstützen. Nicht zuletzt mein neues Problempferd, der ein extremes Trauma (oder vielleicht mehrere) erlebt hat, fordert mich täglich heraus, ihn zu verstehen und seine schlechten Erlebnisse aus der Vergangenheit zu verarbeiten. Gerne nehme ich euch ein Stück mit in die Welt der Pferdesprache!“
Wer mit Pferden zu tun hat und reitet, der kann doch von sich behaupten, Pferde verstehen zu können, oder? Dass Pferde Fluchttiere sind, mit ihren Augen anders sehen als wir und natürlich nicht unbedingt verstehen, was wir von ihnen wollen, weiß doch jeder. Aber ist es so einfach, „pferdisch“ zu sprechen?
Eigentlich hat schon fast jeder einmal den folgenden Satz gehört oder selber schon gesagt: „Der veräppelt dich. Der macht das gerade absichtlich.“ Es ist menschlich, dass wir Eigenschaften der Menschen auf Objekte oder Tiere projizieren. So auch bestimmte Charakterzüge, die dem Pferd unterstellen, gewisse Dinge absichtlich zu tun. In der Natur des Pferdes ist es allerdings so, dass sie lediglich auf Reize reagieren. Sie reagieren, wie es ihnen in der Situation am angemessensten erscheint und nicht, welche Reaktion für die Zukunft vielleicht am besten wäre.
Für dieses Phänomen der Vermenschlichung gibt es übrigens einen Fachbegriff: Anthropomorphismus. Ein ganz klassisches Beispiel hierfür ist auch das Eindecken im Winter. „Das arme Pferd friert, mir selber ist ja auch schon kalt.“ Dass die Wohlfühltemperatur der Pferde viel niedriger als unsere ist, wird dabei oft außer Acht gelassen.
Wenn wir mit Pferden arbeiten, dann gibt es einen ganz entscheidenen Faktor, der viele Verhaltensweisen verständlich macht: das Into Pressur-Syndrom. Pferde lehnen sich nämlich grundsätzlich in einen Druck anstatt ihm zu weichen, wie Menschen es tun. Häufig kann man dieses beobachten, wenn Pferde sich am Strick aufhängen. Sie ziehen immer weiter, bis der Druck nachgibt, der Strick also aufgeht oder reißt. Auch wenn wir Pferde mit der Hinterhand rumdrücken wollen und dabei Druck in der Flanke ausüben, drücken viele Pferde instinktiv gegen diesen Druck. Dieses Verhalten stammt aus der Zeit der wilddlebenden Pferde. Es war eine überlebensnotwendige Reaktion, wenn sich Angreifer auf sie stürzten und sich festkrallen wollten. Würden Pferde dann vorwärts laufen, könnten die Angreifer mit ihren Krallen große Verletzungen auslösen. Wirft sich das Pferd allerdings in die Richtung des Angreifers, kann die Wunde nicht noch weiter aufgerissen werden. Auch wenn es bei unseren domestizierten Pferden natürlich keine Rolle mehr spielt, ist es weiterhin tief in ihrem Instinkt verankert.
Überraschenderweise haben wir all unsere Trainingsmethoden so entwickelt, dass sie gegensätzlich zum Into Pressur-Syndrom ausgeübt werden. Wenn wir dabei z.B. an Schenkelweichen denken, dann soll das Pferd dem Schenkel – also dem Druck – weichen. Es widerspricht seinem natürlichen Verhalten und muss daher erst einmal erlernt werden. Auch beim Verladetraining begegnet uns dieses Problem häufiger: Einer zieht am Halfter, der andere schiebt das Pferd von hinten. Das Pferd legt sich vollständig in diesen Druck und geht dann natürlich nicht auf den Anhänger.
Wir Menschen haben eine bestimmte Zone, in der wir uns wohlfühlen. Kommt uns ein anderer Mensch zu nah und dringt in unsere Wohlfühlzone ein, dann wollen wir das nicht und fühlen uns unter Druck gesetzt. Pferde haben diese Zonen auch. Spannend wird es beispielsweise beim Longieren, denn gerade da kann man die verschiedenen Zonen beim Pferd gut beobachten. Vermutlich hatte schon jeder einmal ein Pferd an der Longe, das so gar nicht vorwärts wollte und einfach nur faul war. Egal wie sehr man sich bemühte und wie nah man an das Pferd herantrat, es wurde nicht schneller. Denken wir jetzt an die „Pressur Zones“, dann wird schnell klar, weshalb solche Pferde nicht schneller laufen: wir waren einfach zu nah dran und in ihrer Wohlfühlzone. Manche Pferde – oft zu beobachten bei den vermeintlich faulen Pferden – haben eine recht große Pressur Zone, sodass man nur mit genügend Abstand Signale geben kann, die die gewünschten Reaktionen auslösen. Entscheidend dabei ist auch die Position des Reiters oder Longenführers. Pferde haben einen natürlichen Balance Point, der meist hinter der Schulter liegt. Orientiert man sich an diesem Punkt, dann treibt man hinter diesem die Pferde an und davor stoppt man sie. Die optimale Position zum Vorwärtstreiben ist ein etwa 45° großer Winkel zum Pferd bzw. zum Balance Point. Man stellt sich das Pferd dabei als Linie vor (von der Hinterhand zum Kopf). Von dieser Linie aus stellt man sich mit dem Blick zum Pferdekopf und der Hüfte zum Pferd gewandt hin, sodass ein etwa 45° großer Winkel entsteht. Der Winkel bewirkt, dass das Pferd mithilfe des Körpers und der Position nach vorne geschoben wird und man es dadurch in das Vorwärts treibt.
Wie groß der Winkel dabei ist, ist von Pferd zu Pferd wieder unterschiedlich. Einige benötigen mehr Schub und Unterstützung von hinten, damit sie vorwärts laufen, andere reagieren bereits bei weniger Druck von hinten. Bei Pferden, die mehr Unterstützung benötigen verkleinert man den Winkel und geht mehr nach hinten. Denn je weiter man nach vorne geht und damit den Winkel vergrößert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch das Pferd gestoppt oder sogar zum Umdrehen animiert wird. Eins bleibt allerdings bei allen Pferden gleich: Die Pressur Zone, also die natürliche Wohlfühzone sollte immer berücksichtig werden, denn ansonsten sind wir wieder beim Problem des Into Pressur-Syndroms und das Pferd lehnt sich in den Druck, statt vorwärts zu gehen.
Um das Verständnis der Pferdekommunikation abzurunden, müssen wir uns bewusst machen, wie Pferde eigentlich lernen. Unterschieden wird hierbei zwischen dem klassischen und dem operanten Konditionieren. Bei dem klassischen Konditionieren wird ein unkonditioniertes Verhalten genommen und mit einem Stimulus verknüpft und somit zu einem konditionierten Verhalten gemacht. Wenn wir beim Thema Longieren bleiben, dann ist es z.B. das Kommando „Trab“, das mit dem natürlichen Verhalten traben verknüpft wurde und das Pferd irgendwann weiß, was es bei dem Kommando zu tun hat.
Das operante Konditionieren ist ein wenig komplizierter und hier einmal vereinfacht erklärt: Wenn ein positives Verhalten belohnt werden soll, dann kann ich etwas angenehmes hinzufügen, z.B. das Pferd streicheln als Belohnung. Im Gegensatz dazu kann ich auch etwas unangenehmes wegnehmen, um ein Verhalten zu belohnen, z.B. kann ich den Druck vom Halfter nehmen, wenn das Pferd erfolgreich rückwärts gegangen ist. Denn für Pferde ist es eine Belohnung, wenn Druck weggenommen wird. Ich kann allerdings auch etwas unangenehmes hinzufügen, um ein Verhalten zu korrigieren. Hampelt ein Pferd beispielsweise neben uns rum, kann ich Druck aufbauen und es zum Stehenbleiben korrigieren. Sobald das Pferd dieses gemacht hat, belohne ich es, indem der Druck weggenommen wird und ich das Pferd lobe. Vereinfacht gesagt geht es beim operanten Konditionieren um die Verbindung zwischen Verhalten und Konsequenz: es ist ein Spiel aus Ja und Nein, aus „richtig“ und „falsch“.
Wir sollten uns aber immer fragen, ob wir die Pferde wirklich verstehen oder ob wir Trainingsmethoden einfach nur stillschweigend übernehmen und niemals hinterfragen. Jeder von uns steht in der Verantwortung, sich mit dem Wesen Pferd auseinander zu setzen und zu verstehen. Oder wusstet ihr, dass Pferde nur 20% von einer Gehirnhälfte auf die andere übertragen? Dass Pferde eine 350° Sicht haben, den optimalen Lichteinfall auf das Auge für scharfes Sehen benötigen – in Form einer horizontalen Linie – und keine Tiefenschärfe wahrnehmen? Beim nächsten Mal sollten wir also nachsichtiger sein, wenn Pferde in keinen dunklen Anhänger wollen (schließlich sind sie die ersten Sekunden sozusagen blind, weil ihr Auge sich nicht so schnell an verschiedene Lichteinflüsse anpassen kann) oder vor einem Schatten wegspringen. Die Erfahrungen formen unsere Pferde und wir haben einen sehr großen Anteil daran. So abstrakt das Thema auf den ersten Blick erscheint, es hilft uns, unsere Pferde zu lesen und zu verstehen. Gewalt ist niemals eine Lösung. Und vielleicht regt dieses hier den einen oder anderen an, mehr in die Materie einzutauchen und „pferdisch“ zu lernen!
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