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Geschicklichkeitsreiten auf dem Turnier – Unsinn oder sinnvolle Abwechlung?

Seit Einführung der WBO ist es amtlich: für Turniereinsteiger gibt es nicht mehr nur die klassischen Dressur- und Springwettbewerbe im unteren Bereich, sondern auch verschiedene Varianten des Geschicklichkeitsreitens. Was früher nur auf sogenannten Orientierungsritten, Reiterrallyes oder für Kinder bei den Mounted Games zu finden war, kann nun auch in Form verschiedener Wettbewerbe in der Halle oder auf dem Viereck stattfinden. Ob das eine gute Sache ist und wenn ja, warum, möchte ich gerne in diesem Gastbeitrag erörtern.

Sarah ist 30 Jahre alt und kommt aus dem schönen Allgäu. Mit ihren Ponys ist sie nicht nur erfolgreich in Dressurprüfungen bis Kl. L unterwegs, sondern nimmt auch regelmäßig mit ihnen an sogenannten Präzisions- und Actionwettbewerben teil. Auch gibt sie regelmäßig Kurse in diesem Bereich. Was es damit auf sich hat, wie sie dazu kam und welche Vorteile solche Prüfungen bieten können, lest ihr in ihrem Gastbeitrag. Einen zusätzlichen Einblick in ihre Arbeit mit den Ponys und ihren Reitschülern findet ihr auf ihrem Instagram Account sanoca_ponypower .Ich selbst kam über Umwege zu dieser Sparte des sogenannten Breitensports. Eigentlich empfand und empfinde ich mich als vielseitige Dressurreiterin und mit Pferdespielen hatte ich nur auf Orientierungsritten (auch genannt „O-Ritte“) Kontakt. An diesen nahm ich weniger wegen des Wettkampfgedanken teil – dafür konnte ich ja auf „richtige“ Turniere gehen, sondern weil ich dabei die Möglichkeit hatte, tolles Gelände zu erkunden und lange Galoppstrecken zu genießen. Mit den verschiedenen Geschicklichkeits- und „Schreckhindernissen“ befasste ich mich dann im Rahmen der Ausbildung meines jungen Nachwuchspferdes. Er war ein Exemplar, das trotz täglichen Weidegangs in der Herde bitte täglich beschäftigt werden wollte. Um ihn nicht zu oft körperlich zu belasten, baute ich also Bodenarbeit ein und gewöhnte ihn an Planen, Regenschirme, Flattervorhänge und, und, und. Als echtes Spielkind fand er daran großen Gefallen und so manches Spielutensil hat er inzwischen auf dem Gewissen.

Als er 6 Jahre alt war, nahmen wir zum ersten Mal an einem großen Breitensportturnier teil. Hier interessierte ich mich weniger für die Spieleprüfungen, als für Caprillitests, die Eignungsprüfung für Freizeitpferde und den GHP. Diese Prüfungen bereiteten uns beiden viel Vergnügen und die Spieleprüfungen, die ich beobachten konnte, gefielen mir sehr gut. Ich bedauerte, dass es so etwas nicht öfter gab. 3 Jahre später, im Jahr 2014, fand dann das Bundespferdefestival in Ellwangen statt und kurzerhand packten wir beide Turnierponys ein und meldeten verschiedene Prüfungen. Nach einer 1 im GHP und dem Sieg in unserem ersten Präzisionsparcours hatte ich endgültig Blut geleckt. Ich fing an, nach solchen Prüfungen Ausschau zu halten und mit meinem Verein auch selbst ein solches Turnier im kleinen Rahmen zu organisieren. Heute gibt es zumindest eine Handvoll solcher „Breitensportturniere“ in meinem Umkreis und ich nutze sie gerne als Abwechslung für meine Pferde und auch für Berittpferde, die aus dem einen oder anderen Grund (noch) nicht auf „normalen“ Turnieren starten können. Inzwischen darf ich mich auch Vizebreitensportbeauftragte meines Pferdesportkreises nennen und gebe hin und wieder Lehrgänge für interessierte Aktive.

„Die Brücke“ – Prüfstein für Vertrauen und Gelassenheit

In dieser Vorstellung fanden sich schon gute Argumente für das Geschicklichkeitsreiten – Spaß & Abwechslung. Doch warum sollte man das nicht einfach nur zu Hause machen? Sollte Turnierreiten nicht ein Leistungsvergleich sein?

1. Warum nicht nur zu Hause?

Das ist eine Frage, die ich am liebsten mit „du kannst auch nur zu Hause Dressur reiten und springen!“ beantworten würde. Diese Antwort wäre natürlich richtig, aber warum es im Gegenteil sogar GUT sein kann, auch so etwas auf Turnieren anzubieten, möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt erklären.

2. Sollte Turnierreiten nicht ein Leistungsvergleich sein?

Selbstverständlich sollte es das, aber wo fängt die Definition von Leistung an? Wer das als Argument gegen Geschicklichkeitsprüfungen nimmt, müsste konsequenter Weise auch die Streichung aller Klassen unter A (oder sogar L?) fordern. Doch auch die Anfänger leisten bereits etwas und ihre Leistungen können untereinander verglichen werden. Außerdem kann jeder gerne einmal selbst probieren, wie gut er mit seinem Pferd durch einen Parcours mit Geschicklichkeits- und Gruselelementen kommt.  Wie so oft beim Reiten gilt auch hier: Je leichter es aussieht, desto mehr Arbeit steckt meistens dahinter.

Erst im vergangenen Jahr hatten wir einen alteingesessenen klassischen Richter auf unserem Breitensportturnier – und er war begeistert!

Doch es gibt noch viele andere gute Gründe für das Geschicklichkeitsreiten als Turniersport:

Keine Reitweisenbeschränkung

Wenn man einmal davon absieht, dass es gewisse Ausrüstungsregeln zu beachten gibt, kann einfach jeder mitmachen! Völlig egal ob FN-Reiter, Barockreiter, Gangpferdereiter, Westernreiter… gerade für Reitvereine mit gemischten Mitgliedern ist dies eine tolle Möglichkeit, alle „an einen Tisch“ zu bekommen und jedem etwas zu bieten.

Blick über den Tellerrand

Wie oft hört man die Lästereien über „willenlose Westernmaschinen“, „zusammengezogene Sportsklaven“, „Pferde, die nur Gangsalat können“, „schlurfende Hirschhalsfreizeitpferde“, „seitwärts krebsende Barockpferde ohne jeden Schwung“ etc. pp.?

Auf einem Breitensportturnier passiert häufig etwas ganz anderes!Der Westernreiter wird bewundert, wie sein Pferd am durchhängenden Zügel durch den Actionparcours flitzt; der Dressurreiter, weil er geschmeidig und elegant durch Labyrinth reitet und sein Pferd ja gar nicht so ein glotzender Fachidiot ist; der Isländer, weil er in 2 Sekunden von cooler Socke auf Flitzebogen umschaltet und wieder zurück; der Spanier, der um die Tonnen galoppiert, als würde die Reiterin gerade nebenbei Doma Vaquera üben; das Freizeitpferd, das sich einfach VOR GAR NICHTS fürchtet…  Es ist ein miteinander, man fragt nach Tipps und es macht einfach Laune!

Leistungsvergleich für „Jederpferd“

Oft hört man „Mit dem Pferd brauche ich mich gar nicht auf dem Turnier blicken zu lassen“. Häufig sagen das Reiter, die erst eine Weile nach dem Pferdekauf auf den Geschmack eines Wettkampfs gekommen sind, ihren geliebten Vierbeiner aber nicht austauschen möchten. Oder man würde eigentlich gerne eine Klasse höher starten, hat aber Angst, nicht mithalten zu können. Beim Geschicklichkeitsreiten brauche ich aber weder einen Lampenaustreter noch einen Hochhausspringer. Der kurzbeinige, rundbauchige Shetty-Araber-Kaltblut Mix kann genauso antreten wie ein Don Totilas-Hitmeier – und keiner der beiden ist benachteiligt! Es gibt zwei Varianten: Den Stil-Trail (meistens als Präzisionsparcours) und den Zeit-Trail (Actionparcours). Beim Stil-Trail geht es um ein harmonisches, gelassenes Überwinden der Hindernisse, beim Actionparcours um Fehler und Zeit. Brav über jedes Hindernis muss dabei jedes Reiter-Pferde Paar erst einmal kommen, egal ob groß oder klein, egal ob dick oder dünn, egal ob Rassepferd oder Wald-und-Wiesen-Mix und eben auch egal, ob es 1.000€ oder 100.000€ gekostet hat.

Mein absolutes Lieblingsargument für das Geschicklichkeitsreiten als Turniersport, das ich unter 1. schon andeutete, ist jedoch dieses: Es gibt dem sogenannten Freizeitreiter den Impuls, sich mit seiner und der Ausbildung seines Pferdes auseinander zu setzen. Viele nehmen nämlich in erster Linie aufgrund des Spaßfaktors an solchen Prüfungen teil und gewinnen dabei die ein oder andere Erkenntnis. Ich kenne sogar ein paar Reiter, die durch diese Prüfungen erst den Weg in den „normalen“ Turniersport gefunden haben!

Doch wie kommt man durch die Teilnahme an solchen Prüfungen auf die Idee, mehr für seine reiterliche Entwicklung zu tun?

Stil-Trail – Gruselhindernisse

Klar, zuerst einmal müssen die Pferde brav und artig über die verschiedenen Hindernisse gehen. Insbesondere Plane, Brücke und Flattervorhang sind sehr beliebte Hindernisse. Doch auch ungewöhnlichere Aufgaben, wie das Durchreiten einer Poolnudelgasse (das Pferd muss hierbei die Poolnudeln mit der Brust zur Seite drücken) können vorkommen. Viele Reiter nehmen dies zum Anlass, solche Aufgaben zu Hause zu üben. Meiner Erfahrung nach ist hierbei weniger die Gewöhnung der Pferde an „seltsame Dinge“ der eigentliche Erfolg, sondern dass der Reiter in geschützter Umgebung die Reaktion seines Pferdes kennenlernt. Er lernt so es besser einzuschätzen, angemessen und richtig zu reagieren und gewinnt so an Souveränität und Selbstvertrauen, was sich schlussendlich auf das Pferd auswirkt. Dies ist besonders für das Reiten im Gelände wertvoll – es wird auch in schwierigen Situationen kontrollierter und sicherer.

Ein solches Hindernis zu überwinden kostet viel Mut und Arbeit

Stil-Trail: Rittigkeitshindernisse

Ein Präzisionsparcours besteht grundsätzlich nicht nur aus GHP-Hindernissen, sondern auch aus Rittigkeitsaufgaben: Labyrinth, Slalom, Querpassage und Wendehammer sind hier sehr beliebt.

Hiervon möchte ich zwei Aufgaben näher beleuchten.

Beim Wendehammer reitet man in eine hammerförmige Gasse ein. Der Eingang ist sehr schmal, im „Hammerbereich“ wird gewendet und das Hindernis durch den schmalen Eingang wieder verlassen. Das Wenden soll harmonisch und flüssig erfolgen. Logisch, dass nur der Reiter, der die Aufgabe ohne Ziehen und Zerren schafft, eine ordentliche Note erhält (die Noten werden je Hindernis vergeben). Wenn derjenige die Aufgabe auch noch z.B. mit einer formschönen Kurzkehrtwendung absolviert,  dann werden die richtig hohen Noten gezückt.

Auch der Slalom ist ein gutes Beispiel: Teile ich diesen gut ein, sitze ich ordentlich und dosiere ich meine Hilfen angemessen, gibt es bestimmt die 6 oder 7. Geht mein Pferd dabei durchs Genick und stellt sich passend auf unsichtbare Hilfen um, sind wir dagegen ganz schnell bei der 9!

Spätestens, wenn es an die Rittigkeitsprüfung geht, ist jedoch schnell klar: Ganz vorne steht nur das gut gerittene Pferd mit einem gut sitzenden und harmonisch einwirkendem Reiter. Eine Rittigkeitsprüfung kombiniert eine kleine Dressuraufgabe (die auch Westernreiter reiten können!) mit Geschicklichkeitshindernissen. Reite ich saubere Hufschlagfiguren, die Übergänge am Punkt und sitze im Gleichgewicht ohne mein Pferd zu stören, ist die Note solide – aber super wird es eben erst im oben genannten Fall.

Im Labyrinth sind durchlässige und geschmeidige Pferde im Vorteil

Actionparcours

Ja, ich bin ehrlich: Im Actionparcours ist es wie im Springen. Es können auch die vorne sein, die gnadenlos durchheizen. ABER ich habe auch schon Leute mit stilistisch einwandfreien und trotzdem sauschnellen Ritten gewinnen sehen.  Doch hier ist der Sinn der guten Ausbildung leider „nur“, dass es für einen Pferdefreund selbstverständlich sein sollte, sein Pferd verschleißarm zu reiten. Da dies leider immer noch nicht jeder so sieht, hier ein kleiner Appell an die Veranstalter: Bitte schreibt nur die Variante „Fehler vor Zeit“ aus – zumindest, wenn ihr als Veranstaltungsort nur einen Rasenboden zur Verfügung habt. Manche nehmen den Spruch „lieber tot als Zweiter“ nämlich definitiv zu ernst.

Geschicklichkeitsreiten und Springen

In den meisten Wettbewerben, die ich bisher geritten bin, kam eine Variante eines kleinen Sprungs vor. Diese sind meistens nicht höher als 60cm, was dazu führt, dass sich eigentlich jeder überwindet. Ist bekannt, dass viele Kinder mit kleinen Ponys oder Shettys teilnehmen, gibt es für die Kinder auch gerne mal einen „Ponyhöhenausgleich“. Ein solcher Sprung lässt sich natürlich besser, sicherer, schöner und auch schneller (schneiden) überwinden, wenn man das zu Hause regelmäßig trainiert!

Ich denke, ich habe genug geschrieben, um zu erklären, warum ich diese Disziplin so schätze. Ich sehe mich immer noch als Dressurreiter, doch das Geschicklichkeitsreiten ist definitiv meine liebste Nebensparte geworden. Ich würde mich freuen, wenn nicht nur Freizeitreiter, sondern auch der ein oder andere klassische Turnierreiter durch meinen Text neugierig geworden ist und diese Sparte einmal mit seinem Pferd ausprobiert. Egal, ob es auf Anhieb klappt oder ihr fleißig üben müsst – ich wünsche euch und euren Vierbeinern viel Spaß dabei!

Text: Sarah Börner

Fotos: Stefanie Zimmermann

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