Haltung
Kommentare 9

5 gute Gründe für die Haltung im Offenstall

Vielleicht habt ihr die Geschichte vom Zausel und mir schon ein bisschen nachverfolgt und wisst, dass er nicht mit der aller stabilsten Gesundheit gesegnet ist. Unter anderem leidet er unter einer chronischen Bronchitis, die mich dazu gezwungen hat, seine Haltung ziemlich umzukrempeln. Das Pferd musste irgendwie so schnell wie möglich von Heu und Stroh befreit werden und weil das auf einer üblichen Stallgasse kaum möglich ist, blieb uns nicht viel mehr anderes übrig als das Abenteuer Offenstall zu wagen. Ich will ganz ehrlich sein: Freiwillig wäre ich diesen Schritt wohl nicht gegangen und der Zausel würde immer noch wie viele andere Pferde auch in der Box stehen. Schon nach den ersten Tagen im Offenstall war ich von dieser Haltungsform aber so begeistert, dass ich heute auch ein gesundes Pferd nicht mehr anders halten wollen würde. Wer einmal die Vorteile eines (guten) Offenstalls genossen hat, möchte diese nicht mehr missen.
Leider sind aber immer noch viele Pferdehalter der Ansicht, die Haltung im Offenstall ginge mit vielen Einschränkungen und Nachteilen für den Reiter einher und so richtig sportliches Reiten sei im Offenstall ohnehin nicht möglich. Mit diesen Vorurteilen würde ich gern ein bisschen aufräumen und habe daher hier mal fünf Gründe zusammen gesucht, die echte Vorteile für den Reiter sind:

1. Ihr tut eurem Pferd etwas Gutes

Licht, Luft, Wetter, Artgenossen, Bewegung, Futter und Wasser – eigentlich ist es nicht viel, was ein Pferd braucht, um glücklich zu sein. Dennoch müssen viele Pferde auf einige dieser elementaren Bedürfnisse verzichten oder bekommen sie nur sehr limitiert zur Verfügung gestellt. Eigentlich sollte dieser Punkt 1 für jeden Pferdebesitzer Grund genug sein, den lieben Vierbeiner in einem Offenstall (oder Bewegungsstall mit ähnlichem Konzept) unterzubringen. Alleine sein Pferd im Zusammenleben mit Artgenossen beobachten zu dürfen, jeden Tag aufs neue mit lustigen, herzlichen, friedlichen und albernen Momenten im Stall empfangen zu werden und die Gewissheit zu haben, dass es dem Pferd rundum gut geht, erfüllt mich täglich mit Freude und Zufriedenheit. Wenn ich ehrlich bin hat der Anblick eines vergitterten Pferdes in mir schon immer irgendwie Unbehagen ausgelöst und ich habe erst später bemerkt, welchen Unterschied alleine der Anblick für mein Wohlbefinden im Stall bedeutet.

2. Euer Pferd lässt sich besser reiten

Wer rastet, der rostet – das wussten schon unsere Großeltern! Und es gilt ebenso für uns wie für unsere Pferde. Wer über 20 Stunden in der Box gestanden hat, der kann nicht locker flockig ins Training starten. Je mehr sich Pferde über den ganzen Tag verteilt frei bewegen können, desto lockerer sind sie und das wirkt sich natürlich auch auf das Reiten aus. Hinzu kommt, dass sie im Gemüt viel ausgeglichener sind. Natürlich verhindert ein Offenstall nicht komplett, dass Pferde bei kalten Temperaturen gern mal ein bisschen knackig werden, aber die Möglichkeit zur freien Bewegung mildert  extreme Temperamentsausbrüche doch deutlich ab. Weil es ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass Pferde, die sich den ganzen Tag frei bewegen dürfen, faul und träge werden, möchte ich dieses auch gleich aus der Welt räumen: Keine Sorge, sie haben trotzdem noch reichlich Energie! Mal ganz davon abgesehen, dass ich die Vorstellung, ich müsste mein Reitpferd den ganzen Tag über in eine Box sperren, nur damit es einen ausreichend aufgestauten Bewegungsdrang hat um mein Reitvergnügen zu befriedigen, ehrlich gesagt ziemlich befremdlich finde, tut das gar nicht Not. Pferde sind mit so großer Bewegungsfreude ausgestattet, dass sie auch nachdem sie den ganzen Tag Zugang zu freier Bewegung hatten, motiviert mit uns gemeinsam trainieren. Davon könnten wir alle uns wohl mal eine Scheibe abschneiden!

3. Euer Pferd bleibt gesund

Das Pferd ist – ich bin mir sicher an dieser Stelle ist niemand überrascht – ein Lauftier. Bewegung gehört zu den elementaren Bedürfnissen eines jeden Pferdes. Als Steppenbewohner ist sein ganzer Organismus darauf ausgelegt, jeden Tag, das ganze Jahr über, bei jedem Wetter mehrere Kilometer zur Nahrungsaufnahme zurückzulegen. Der komplette Bewegungs- und Verdauungsapparat hat sich in jahrtausendewährender Evolution an diese Lebensform angepasst. Sperrt man das Lauftier Pferd in eine kleine (oder auch große) Box, kann es der seiner natürlichen Art entsprechenden Lebensform nicht nachkommen und dies geschieht leider in vielen Fällen zu Lasten der Gesundheit (und auch des psychischen Wohles). Nicht ohne Grund leiden heute mitunter ganze Reitställe an regelrechten Zivilisationskrankheiten wie Lahmheiten, Verdauungsproblemen und Koliken, Erkrankungen der Atemwege und Verhaltensauffälligkeiten. Die Liste dieser Krankheiten ist lang und geht man einmal durch eine Stallgasse hat doch fast jedes der aufgestallten Pferde mindestens eine dieser Beschwerden.
Natürlich ist die Haltung im Offenstall kein Allheilmittel und auch im Offenstall gehaltene Pferde können krank werden. Dennoch kann mit dieser Form der Haltung vielen solcher Krankheiten vorgebeugt werden und sogar im Falle einer bereits durch die Haltungsform verursachten Erkrankung deutliche Linderung und sogar Heilung verschaffen. Und ein gesundes Pferd ist doch am Ende das, was sich jeder Reiter wünscht – auch und vor allem die, die ihr Pferd sportlich nutzen wollen. Die Angst vor Verletzungen im Offenstall ist auch unbegründet. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen sich Pferde gegenseitig verletzten. Aber genauso gibt es reichlich Fälle, in denen Pferde in Boxen schwer verunglücken. Außerdem schwächt langes Stehen in der Box Sehnen und Bänder der Pferde. Wenn diese dann auf die Weide gelassen werden und unkontrolliert losbocken, gibt es schnell Verletzungen. Pferde die sich 24 Stunden frei bewegen können, stärken ihren gesamten Bewegungsappart und sind viel weniger anfällig. Außerdem haben sie keine angestaute Energie, die sich explosionsartig entläd. Eine gut zusammen gestellte, stabile Herde ist sehr friedlich und es gibt kaum körperliche Auseinandersetzungen unter den Pferden. Probleme gibt es vor allem dann, wenn die Herdenzusammensetzung sich häufig ändert, die Pferde zu wenig Platz zum Ausweichen haben oder aber die Pferde durch lange Zeiten in der Box die Grundregeln des Sozialverhaltens verlernt haben.

4. Ihr schafft euch mehr Freiheiten

Ich glaube jeder Pferdebesitzer kennt das schlechte Gewissen, wenn das Pferd mal weniger bewegt wird als es eigentlich gut wäre. Vorbereitung auf eine wichtige Prüfung, Klausurenphase in der Uni, eine wichtige Deadline im Büro oder Ferien- und Urlaubszeiten. Jeder kennt die Phasen, in denen er dem Pferd nicht so richtig gerecht werden kann und sich irgendwie aus reinem Pflichtgefühl total abgehetzt in den Stall begibt, um das Pferd schnell irgendwie an die Longe zu hängen und es zumindest etwas zu bewegen. Dass das dem Pferd gegenüber weder fair noch seinem Bewegungsbedürfnis entsprechend ist, wissen wir natürlich, aber es geht heute, diese Woche oder bis zur Prüfung eben nicht anders. Das ist für alle Beteiligten eine unschöne Phase, aber euer Pferd kann nichts dafür, dass es zeitweise mal so gar nicht in euren Alltag passt und ihr habt echt andere Sorgen, als euch mit einem schlechten Gewissen zu belasten.
Es geht so viel entspannter, wenn man sein Pferd so hält, dass man als Reiter nicht für das Grundbedürfnis an Bewegung sorgen muss. Wer sein Pferd in einem Stall hält, in dem es sich viel bewegen kann und auch ausreichend Anreize dazu hat, dies auch zu tun, der muss sich kein Bein ausreißen, um das Pferd noch mal schnell an die Longe zu hängen. Stehtage gibt es nicht, euer Pferd hat nur noch Arbeitstage und Wochenende. Und wer freut sich nicht mal über ein Wochenende, auch wenn es auf Montag und Dienstag fällt!? Wer sicherstellt, dass alle Grundbedürfnisse des Pferdes in seiner Haltung abgedeckt werden, der erhält als Reiter unglaubliche Freiheiten und kann die Zeit mit dem Pferd viel bewusster und positiver genießen. Man schätzt die Zeit beim Pferd dann als gemeinsame Aktivität mit dem Partner Pferd und arbeitet nicht ständig gegen sein schlechtes Gewissen an. Das bedeutet mehr Freude und weniger Verpflichtung an der Pferdehaltung!

5. Alles ist möglich, auch im Offenstall!

Es hält sich leider relativ hartnäckig das Gerücht, ein Sportpferd könne man nicht im Offenstall halten bzw. mit einem im Offenstall gehaltenen Pferd sei die sportliche Nutzung nicht möglich. Nun – ich denke, die oben genannten Punkte zeigen eigentlich nur, dass auch und vielleicht gerade sportlich genutzte Pferde im Offenstall super aufgehoben sind, weil es ihre Nutzung erleichtert. Das klingt nun sehr nüchtern und etwas fies, schließlich sehen die meisten ja einen Partner in ihrem Pferd und es geht ihnen nicht um die bloße Steigerung der Nutzbarkeit des Pferdes. Die Offenstallhaltung kommt ja aber in erster Linie dem Wohlbefinden unserer Pferde entgegen. Als für den Reiter äußerst nützlichen Nebeneffekt steigert sie außerdem auch die Nutzbarkeit. Mit einem im Offenstall gehaltenen Pferd ist alles möglich, selbstverständlich auch die Turnierteilnahme bis zur schweren Klasse. Dass dafür die Trainingsbedingungen stimmen müssen, steht natürlich außer Frage, die bloße Haltungsform ist aber kein Hindernis zur sportlichen Nutzung. Ganz im Gegenteil, sie wirkt sich sogar positiv daraus aus. Auch das Scheren und Eindecken der Pferde ist im Offenstall problemlos möglich. Mit ausreichendem Bewegungs- und Beschäftigungsangebot zerfetzen die Pferde auch nicht ,wie sonst auf den Winterpaddocks vor lauter Langeweile ja üblich, die Decken ihrer Herdenmitglieder. Bei eingedeckten Pferden hält sich dann auch der Aufwand fürs Putzen in Grenzen, denn unter der Decke bleiben selbst kleine Erdferkel sauber. Vor einem anstehenden Turnierstart kann die Decke dann auch noch um ein Halsteil erweitert werden, dann sitzt die Frisur am nächsten morgen garantiert noch.

 

Auch wenn ich eher unfreiwillig unter die „Offenstaller“ gegangen bin, kann ich mir heute eine andere Haltungsform gar nicht mehr vorstellen. Natürlich auch, weil ich sehe, wie gut sie den Pferden tut. Aber auch, weil es mir als Reiter ganz neue Freiheiten verschaffen hat, die ich vorher nicht für möglich gehalten habe. Ich sehe heute vieles deutlich entspannter. Wenn ich es mal nicht in den Stall schaffe, weiß ich mein Pferd trotzdem rund um gut versorgt und glücklich und zufrieden. Als der Zausel nun im Oktober operiert wurde (mehr dazu hier ) und darum vier Monate nicht geritten werden durfte, musste ich mir keine Sorgen um ein immer verrückter werdendes Pferd machen, musste nicht ewig in der Halle im Kreis führen, hatte keinen Ärger mit dem Antrainieren. Er hat einfach 4 Monate im Paddock verbracht und ich konnte danach auf ein lockeres und motiviertes Pferd wieder aufsteigen und anfangen das Training langsam aufzubauen.
Ich empfinde diese Form der Haltung als so große Erleichterung bezüglich aller Verpflichtungen, die man mit der Anschaffung eines Pferdes eingeht, dass ich hoffe, dass viele Reiter diese erkennen und sich und ihren Pferden das Leben um einiges leichter machen.

 

9 Kommentare

Wir freuen uns immer über eure Kommentare :-)