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Mein mutiger Zausel

Mein liebes Zauselchen und ich kennen uns schon eine ganze Weile. Genau genommen sind es nun schon 8 Jahre, seit ich ihn als junges Pferd, damals grade noch 5 jährig, bekommen habe. Das Zauselchen hat neben seinem meist verwendeten Spitznamen – eben Zausel – noch eine ganze Reihe anderer Spitznamen, die sich auf Grund seines Charakters, seiner Stärken und Schwächen, so ergeben und etabliert haben. Zum Beispiel Schlaufuchs, eine Anspielung auf seine Fellfarbe und seine erstaunlich schnelle Auffassungsgabe. Neue Dinge lernte er als junges Pferd mit Begeisterung und beeindruckend schnell. Oder auch Hektor, weil er gerne mal von einer gewissen inneren Unruhe geplagt wird, die ihn immer etwas hektisch und impulsiv handeln lassen. Und dann wären da noch Angsthase, Schissbüx und Hasenherz. Schon immer war er eher ängstlich, immer in Hab-Acht-Stellung, schnell auf der Flucht und im Gelände oft sehr gestresst vor lauter Eindrücken und Gefahrenpotential. Nicht selten kamen wir nicht an Steinen, Mülleimern und Baumstümpfen vorbei, weil er sich einfach nicht traute, an ihnen vorüber zu gehen. Zu groß die Angst, sie könnten ihn anfallen und auffressen. Oder die vielen Strecken, die wir stockend und in Schlangenlininen zurückgelegt haben, weil er alle paar Meter rechts und links des Weges Gespenster sah. Viele Jahre haben wir damit verbracht, das Ausreiten zu üben, Gelassenheit zu entwicklen, ihm zu zeigen, dass die Welt außerhalb der Reithalle gar nicht so beängstigend ist, wie er es empfand. Und obwohl wir wirklich sehr, sehr viel geübt haben – die Angst hat dann doch häufig gesiegt und er hat sich vielen Situationen, in denen er sich unsicher fühlte, mit überstürzter Flucht entzogen.
Für ein Pferd als Fluchttier ist das auch eine überlebensnotwendige Strategie und hat Jahrhunderte lang das Überleben der Spezies gesichert. Wie soll man nun also einem Pferd erklären, dass der Reiter an ihm durchaus Tugenden wie Mut und Besonnenheit schätzen würde? Und sind das überhaupt Eigenschaften, die sich im Wesen des Pferd wiederfinden lassen? Ist ein mutiges Pferd nicht eigentlich zum Scheitern verurteilt?

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Mut und Angst werden häufig als Gegensätze empfunden, der Mutige kennt keine Angst und der Ängstliche findet keinen Mut, Dinge zu wagen. Das ist aber eigentlich falsch, Mut und Angst schließen sich keinesfalls aus. Der Mutige hat oft genau so viel Angst, wie der Ängstliche, er hat aber auch die Zuversicht in seine eigenen Fähigkeiten und in sein Umfeld, dass er die ängstigende Situation dennoch bewältigen kann.

Der Zausel ist in den letzten Jahren also keineswegs weniger ängstlich geworden. Er sieht und hört immer noch mehr als viele andere Pferde. Oft rutscht ihm sein Herz in die Beine und er zuckt bei Geräuschen und plötzlichen Bewegungen zusammen. Er geht stets mit einem „Huch“ und „Oh Schreck“ in den Gedanken durchs Leben.

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Aber er hat gelernt, dass er nicht sofort Reißaus nehmen muss. Er hat gelernt, dass er Situationen zunächst betrachten und abwägen kann, ob eine Flucht tatsächlich notwendig ist, oder ob man sich vielleicht doch vorbei trauen kann.

Wie er das gelernt hat? Nun, das ist eine gute Frage, die ich selbst nicht so genau beantworten kann. Ich denke, es ist eine Mischung aus vielen Faktoren. Er ist älter geworden, hat Erfahrungen gesammelt, viele unterschiedliche Situationen kennengelernt und ist niemals tatsächlich von einem Stein angefallen worden. Sein Erfahrungsschatz hat ihm ein Vertrauen darin gegeben, dass nichts so schlimm ist, wie es zunächst aussieht. Auch hat er gelernt, dass er seinem Reiter vertrauen kann, wenn der ihn ermutigt, weiter zu gehen. Vor allem aber hat ihm eine konstante Herde Sicherheit gegeben. Er hat in vielen Jahren als ranghöchstes Herrenmitglied gelernt, besser einzuschätzen, dass oftmals keine echte Gefahr droht. Seine treue Begleiterin Sam – die wenig Angst kennt und fast immer zuversichtlich voran geht – hat ihn in den letzten Jahren unheimlich wachsen lassen. Was für uns früher wirklich undenkbar war, ist heute fast selbstverständlich geworden: Er trabt und galoppiert zügig voran, sogar in unbekanntem Gelände.

Und dann sind da jetzt manchmal die Situationen, die mich wirklich baff machen. Es gibt so Tage, da ist irgendwie alles ein bisschen anders und auch Strecken, die wir schon mal geritten sind, stecken plötzlich voller ungeahnter Gefahren. Ich spüre seine Angst, weil sich das ganze Pferd unter mir spannt wie ein Flitzebogen. Den Kopf trägt er so hoch, dass ich das Gefühl habe er wäre 10 cm gewachsen, die Augen weit aufgerissen, aus den feuerroten Nüstern prustet er die Luft heraus wie ein zorniger Drache. Das ganze Pferd zittert und bebt vor Spannung und jeder Muskel ist bereit zur sofortigen Flucht. Ich muss jetzt auf alles gefasst sein, bleibe aber passiv sitzen und warte ab, welche Entscheidung er treffen wird. Und anstatt in alte Muster zu verfallen, panisch auf dem Absatz kehrt zu machen und in entgegengesetzter Richtung davon zu stürmen, geht er etwas zögerlich, aber entschlossen weiter, überwindet seine Angst und beweist mir: echten Mut.

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Dann bin ich so unglaublich stolz auf mein Zauselchen, dass ich das dicke Grinsen den ganzen Ausritt über nicht aus dem Gesicht bekomme.

Pferde können also doch mutig sein und Mut sogar erlernen. Wenn man ihnen Zeit gibt, viele Erfahrungen zu sammeln, ihnen ihre Angst zugesteht, ohne dann noch mehr Druck und Strafe aufzubauen, ihnen ein Umfeld bietet, in dem sie Sicherheit und Zuversicht empfinden können, dann können aus Hasenherzen richtige Löwenherzen werden.

Wir freuen uns immer über eure Kommentare :-)