Wer ein krankes Pferd hat, setzt sich unweigerlich viel mit ihm und seinem Wohlbefinden auseinander, guckt oft ganz genau hin, versucht äußere Anzeichen, Körpersprache und Mimik zu deuten, Bewegungsabläufe zu analysieren, auf die Kleinigkeiten zu achten und wird dabei doch blind für die Dinge, dich sich langsam herangeschlichen haben, die leise in den Alltag gesickert sind und heimlich zu dem geworden sind, was man als normal oder „das war doch schon immer so“ empfindet.
Seit mein Zauselchen diesen Winter ganz schleppend ganz schön krank geworden ist, habe ich viel Zeit damit verbracht, in das Pferd hineinzuhören, genau hinzuschauen, dann doch wieder absichtlich nicht alles auf die Goldwaage zu legen, über einige Dinge ganz bewusst mal hinweg zu sehen, weil ich sie anderen Ursachen zugeordnet habe.
Nun bekommt das kranke Zauselchen seit 3 Wochen Cortison, ein starkes Medikament, ein wirksames Mittel, dass ihn hoffentlich wieder gesund macht, aber vor dessen Nebenwirkungen ich mich auch lange gescheut habe.
Der Zausel leidet schon seit Jahren an einer chronischen Bronchitis und hatte damit diesen Winter so heftig zu kämpfen wie schon lange nicht mehr. Wenn ich hier jetzt schreibe „er hatte zu kämpfen“ dann kommt mir diese Wortwahl wieder zu drastisch vor, mich drängt ein innerer Impuls das ganze gleich wieder zu relativieren, zu betonen, dass es ihm SO schlecht nun auch wieder nicht ging, er nicht gelitten hat, nicht sterbenskrank war.
Aber vielleicht ist das genau der Fehler, den ich immer wieder im Zusammenhang mit dieser Erkrankung mache. Es zu verharmlosen, weil der Prozess in so kleinen Schritten eintritt, dass ich es viel zu spät merke. Die Relationen verschieben sich so, dass ich gar nicht mehr erkenne wie schlecht es ihm geht. Viel zu weit Weg ist das wirklich gesunde, energiereiche, kräftige Pferd, viel zu lange hatte ich Zeit, mich an einen etwas steiferen, etwas unwilligeren, etwas matteren Zausel zu gewöhnen, so dass die schleichende Verschlechterung im Alltag kaum auffällt.
Bis man irgendwann in der Halle steht und mit Tränen in den Augen erkennt: Dieses Pferd ist nur noch ein jämmerlicher Schatten seiner selbst. Allen Schick und Charm hat er eingebüßt, all seine Bewegungsqualität ist verloren, wie ein kraftloser Klepper schleppt er sich durch die Halle, ist missmutig und übellaunig, schaut müde und verbraucht aus.
Ich bin offenbar gut darin, unbequeme Dinge mit fantasiereichen Ausreden zu beschönigen, anstatt die Tatsachen anzunehmen und etwas zu unternehmen. Dass er etwas steifer geworden ist hatte ich auf zu wenig konsequentes Training geschoben. Dass er irgendwie nicht mehr so im Lack stand auf sein fortschreitendes Alter. Sowieso habe ich viele Dinge auf sein Alter geschoben und ich glaube, das ziemlich zu unrecht.
Er ist 15 Jahre alt, ein Alter, in dem andere Pferde auf dem Höhepunkt ihrer Leistung internationale Turnier bestreiten. 15 Jahre sind für ein gesundes Pferd kein Grund sich unaufhaltsam in einen Klepper zu verwandeln. Und wenn dies doch passiert, ist das Pferd eben nicht gesund.
Seit er nun unter Cortison steht, merke ich, wie langsam die Lebensgeister in ihn zurück kehren. Sein Gangbild hat sich verändert. Er hatte jetzt fast 12 Wochen komplette Reitpause, seit ein paar Tagen reite ich ihn wieder. Es ist gar nicht mal so leicht zu beschreiben, wie er sich seit dem entwickelt hat aber ich merke, dass da irgendwie wieder mehr Gummi in der Bewegung steckt. Er bewegt sich wieder freiwillig und gern, aufwändiger und irgendwie erhabener, wenn auch noch ganz schön steif und spannig. Aber es ist ein himmelweiter Unterschied ob der Rücken ein bisschen spannig ist oder das ganze Pferd vor lauter Mattigkeit kaum die Füße aus dem Sand bekommt. Ich merke, wie spielend leicht man eine Anlehnung herstellen kann, wie bereitwillig er auf dem Gebiss kaut, mit welch leichter Zügelführung er sich reiten lässt. Ich muss nicht erst Runde um Runde lösen, um überhaupt so etwas wie eine Anlehnung herzustellen. Ich muss nicht darum kämpfen, damit er überhaupt irgendwie den Hals krumm macht. Ich brauche keine Sporen, um ihn in Gang zu halten, er reagiert bereitwillig auf die Schenkelhilfen und möchte gern ein bisschen arbeiten.
Wie konnte ich nur so lange mein Pferd verleugnen, obwohl ich ihn so gut kenne? Wie konnte ich glauben, dass er sich durch sein Alter so verändert hatte und dabei übersehen, wie krank er war?
Er arbeitet gern, er bietet sich dem Reiter freiwillig an, er zeigt sich gern und hat von Natur aus Ausstrahlung. Das ist nichts, was man in ein Pferd hinein zwingen kann, wenn es ihm durch körperliche Defizite abhanden gekommen ist.
Am Mittwoch vor zwei Wochen habe ich mit einer lieben Freundin zusammen Fotos vom Zausel und mir gemacht. Er erscheint mir auf diesen Bildern ganz schön gealtert. Noch schlimmer ist es aber auf den Bildern von vor ein paar Wochen. Da sieht man ihm die Krankheit körperlich doch ganz schön an. Im Gesicht, in der Art und Weise wie er sich bewegt, wie er steht und schaut, an seinem Körper und seiner Muskulatur. Ein bisschen ausgezehrt sieht er aus finde ich, ein bisschen erschöpft im Blick, es fehlt das Feuer und die Kraft. Auch auf diesen Bilden hier im Beitrag ist er noch nicht wieder ganz der Alte.
Aber ich merke, dass sein Wesen langsam zurückkehrt, dass er wieder lustiger, alberner wird. Mich zum Spielen auffordert, an mir knappst und schleckt, aufmerksam und aufgeschlossen mir gegenüber ist. Er erscheint mir wacher und fröhlicher, seine Ohren sind nicht mehr ganz so oft missmutig nach hinten gestellt, sein Maul sieht entspannter aus, seine Miene wirkt freundlicher. Aber ich sehe auch, dass er noch lange nicht ganz der Alte ist, es fehlt noch ein ganzes Stück.
Und dann ist da wieder die Sache mit dem Alter: Ich frage mich, ob er sich diesmal gänzlich erholen wird. Und wann war er eigentlich das letzte mal ganz er selbst? Strotzend vor Kraft und rund um Gesund? Ich glaube, das ist schon ein paar Jahre her und das stimmt mich wieder traurig. Vielleicht wird da immer dieser Schatten bleiben, den seine kranke Lunge über ihn wirft. Vielleicht wird ihm das immer das letzte Quäntchen Energie rauben, die es bräuchte um wieder ganz zu erstrahlen.
Ich hoffe, dass er diesen Frühling auch noch mal seinen großen Frühling erlebt, hänge grade eine unheimliche Hoffnung an das Kortison, wünsche mir, dass es die kranke Lunge quasi auf Null setzt. Ich weiß, dass das klappen könnte. Vor 6 Jahren hat er das letzte Mal eine lange Kortisonbehandlung bekommen und den darauffolgenden Sommer seine seit dem beste Form gehabt. Ich wünsche mir sehr, dass es diesmal genau so gut anschlägt. Falls er körperlich nicht mehr auf diese Höhe kommt, hoffe ich zumindest, dass ihm seine Laune und sein Wesen so erhalten bleibt, wie im Moment. Es ist nicht schlimm, wenn er immer ein bisschen älter aussehen wird, als er ist, wenn er nicht mehr ganz so viel Leisten kann wie früher, tatsächlich ein bisschen steif bleibt. Hauptsache er bleibt so albern und motiviert, interessiert und fröhlich wie im Moment. Das wünsche ich meinem Alterchen wirklich von ganzem Herzen.
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