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Wie eine Stute mein Fernweh heilte und mich zurück in die Heimat holte

Dies ist ein Gastbeitrag von Lessa.

Als frischgebackene Abiturientin gab es für mich nur einen Plan: Nix wie weg aus meinem kleinen Heimatkaff mit weniger als 300 Einwohnern – ab in die große weite Welt.

Die französische Sprache mit ihren regionalen Abwandlungen war schon immer eine meiner Leidenschaften. So ist es nicht verwunderlich, dass sich das Französische wie ein roter Faden durch meine Reiseroute zieht. Meine Reise startete 2008 und endete 2017 – Sie dauerte also fast zehn Jahre, enthielt mehrere Etappen, die zehntausende Kilometer auseinander liegen, und endete ziemlich überraschend.

La Réunion

Studiert habe ich in Kooperation mit einer deutschen Hochschule BWL und Tourismusmanagement auf La Réunion, einem recht unbekannten, aber wirklich zauberhaften Inselparadies im Indischen Ozean. La Réunion ist ein DOM (Département Outre-mer) und gehört zu Frankreich.

Damit hat man europäische Hygiene- und Lebensstandards (was in diesen Breitengraden nicht zu unterschätzen ist) und kann nach 11 Flugstunden einfach mit dem Perso und ganz ohne Reisepass aus dem Flieger spazieren!

La Réunion ist landschaftlich eine wahre Sensation!

Mein Lieblingsstrand L’Ermitage, das traumhafte Bergpanorama, Fuchsteufelswandersfrau

Vielfältiger auf kleinstem Raum geht es kaum:

spektakuläre Wasserfälle, die sich in türkisfarbene Naturbecken stürzen, erloschene Kraterkessel, in denen sich saftig grüne Tropenwälder angesiedelt haben, zerklüftete Berggipfel mit darin eingebetteten, einsamen Kreolen-Dörfchen – fernab befahrbarer Straßen, ein aktiver Vulkan, umgeben von einer kargen und schier unwirklichen Mondlandschaft, pechschwarze und schneeweiße Sandstrände mit Palmen und glasklarem Wasser, eine knallbunte Unterwasserwelt und und und….

Die Kraterlandschaft um den Vulkan Piton de la Fournaise, Gleitschirmfliegen, eine Bananenstaude

Ihr seht, La Réunion ist landschaftlich wirklich meine große Liebe! Doch obwohl ich mich wirklich im Paradies befand, war ich innerlich unruhig.

Ich hatte Fernweh und wollte weiterziehen.

Auch auf La Réunion nicht ohne Ponies

Seychellen

Also ging es während der Semesterferien auf zu einem mehrwöchigen Backpacking-Trip in Richtung Mahé, die größte der 115 Inseln der Seychellen.

Schnell wurde mir klar, dass die Seychellen nicht gerade eine Backpacking-Destination par Excellence sind. Zwischen Kreolen-Hüttchen der Einheimischen und Luxushotels für wohlhabende Paare aus Übersee, die ihre Flitterwochen dort verbrachten, gab es nicht viel.  Also wohnte ich in Kreolen-Hüttchen. Oft mit zusammen Hühnern, Kakerlaken, Tigermücken und sonstigem Getiers. Die kamen und gingen wann sie wollten, denn Fensterscheiben hatten diese Hütten selten. Warum auch? Ist ja das ganze Jahr über warm dort!

Die Seychellen sind eine Mischung aus Urwald und Traumstränden, wie man sie von Postkarten und Windows-Hintergrundbildern kennt. Das bekannteste Postkartenmotiv bietet wohl der Strand „Anse Source D’Argent“.  Charakteristisch sind die großen Granitfelsen, die überall verteilt liegen und zwischendurch ein bisschen so aussehen, als wären sie wie riesige Steinelefanten vom Himmel gefallen.

Bilderbuchstrand Anse Source d’Argent

Typisch für die Seychellen sind außer den Bilderbuchstränden auch die Riesenschildkröten, sowie die Coco-Fesse (Popo-Kokosnuss). Warum die so heißt, seht ihr in der Google-Bildersuche! Obwohl der Tourismus der Seychellen also nicht für Rucksackreisende ausgelegt ist, gab es (manchmal doch sehr abenteuerliche) Mittel und Wege, sich fortzubewegen.

Auf den beiden größeren Inseln, Mahé und Praslin, war es möglich, mit dem Bus von A nach B zu kommen. Der führte nicht selten über Y und Z. Außerdem gab es für den Bus keinen Fahrplan. Man stellt sich einfach an eine Haltestelle und dann braucht man nur noch Geduld. Seeehr viiiel Geduld.  Manchmal kommt dann ein Bus. Manchmal nicht. Dann probiert man am nächsten Tag nochmal. Nicht immer leicht für den typisch Deutschen 😀 Auf den kleineren Inseln sind Fahrrad oder Ochsenkarren die Fortbewegungsmittel der Wahl.  Oder man geht einfach zu Fuß.

So bewegt man sich auf den Seychellen fort

Besonders spannend waren die Überfahrten zwischen den Inseln. Zu Studentenzeiten waren die Speedboats, die für die Touristen zwischen den Inseln verkehren, für mich leider nicht erschwinglich. Daher sprach ich am Hafen Fischer an, die mit ihren Holzbooten dort verkehrten. Obwohl ich stellenweise mit grün angelaufenem Gesicht, neben einer mit Seilen festgezurrten Kuh, zusammengekauert in einer Ecke auf dem Deck hockte, war das eine wirklich einzigartige Erfahrung, die ich nicht missen möchte! Ganz toll waren neben Mahé auch die beiden Inseln Praslin und La Digue.

Dennoch packte mich wieder das Fernweh…

Na, wer entdeckt die Kuh?!

Québec

Im Rahmen meines Studiums durfte ich ein abschließendes Praxissemester absolvieren. Das tat ich in einem gehobenen Hotel in Kanada. Da es mir auf diesem Fleckchen Erde gut gefiel, blieb ich aber doch länger, und zwar für mein anschließendes MBA-Studium in E-Business.

Aber erstmal von vorn: Für mich ging es also raus aus dem Indischen Ozean, einmal quer über den Atlantik! Da mir die französische Sprache bekanntlich die Leitplanken für meine ansonsten recht ungebundene Reise bot, ging es in den französischsprachigen Teil Kanadas; ins wunderschöne und eigensinnige Québec! Eigensinnig? Weil es seit der Landung der Franzosen im 17. Jahrhundert, umzingelt von Briten, ganz beharrlich seine frankophone Ader verteidigt hat.

Die Flagge von Québec, eins der zahlreichen Warnschilder vor Elchen, Indian Summer

Landschaftlich ist Québec natürlich nicht mit den Tropen zu vergleichen. Dennoch ist es auf seine eigene Art bezaubernd. Sowohl geographisch, als auch menschlich. Die Menschen dort haben mich am meisten geprägt; nirgendwo anders auf der Welt habe ich so aufgeschlossene, herzliche und liebenswerte Menschen getroffen wie in Québec.

Die Landschaft ist eher flach, dünn besiedelt und hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt. Gefühlt hat außerhalb der größeren Städte jeder Haus, Hof und Land. Also ein wahres Paradies für Pferdemädchen!

Mein Pflegehengst Le Premier, Der Blick aus dem Wohnzimmer und einer der vielen Nationalparks

Außerdem gibt es einen Haufen malerische Seen an abgelegenen Orten, an denen die Kanadier (Gott weiß, wie sie das geschafft haben, ohne von Bären verspeist zu werden) einsame Chalets errichtet haben, die zum Ausspannen, Baden oder auch zum Angeln einladen. Ich musste feststellen, dass mir letzteres wahnsinnig viel Spaß macht, es mir jedoch an Talent mangelt. Ganz zur Freude der Fische.

Doch auch hier packte mich irgendwann wieder das Fernweh…

Mit mir zum Angeln zu gehen war lustig, aber gefährlich. Schneemobilfahren auch.

Paris

In Kanada ging ich, um mein Studium zu finanzieren, abends einem Studentenjob nach. Aus dem ergab sich, völlig ungeplant, eine tolle berufliche Möglichkeit in Paris: Dort hatte ich die einzigartige Gelegenheit, konzeptionell an Computerspielen zu arbeiten, in denen es um Pferde ging. Kurz gesagt: ein absoluter Traumjob!! Ich zögerte nicht lange und zog von Kanada direkt in die Stadt der Liebe. Das war wohl auch der einzige Grund, warum ich in einer Metropole gelandet bin, denn ansonsten hätten mich dort wohl keine 10 Pferde hinbekommen (Gut, dass es in dem Computerspiel über 10 Millionen Pferde gab).

Paris ist eine malerische und romantische Stadt. Verträumte Gassen, imposante Gebäude im Stil Hausmanns und liebevoll angelegte Parks sind Zeugen der goldenen Zeiten Frankreichs.

Arc de Triomphe, Nähe Trocadéro, Tour Eiffel

Ein perfekter Ort, um dort ein Wochenende zu zweit zu verbringen. Aber definitiv, für ein Pferdemädchen wie mich, kein Ort zum Leben. Wie ich es dort fast 5 Jahre lang ausgehalten habe?! Keine Ahnung. Die romantische Fassade der Stadt täuscht nämlich. Ich, als altes Landei, fühlte mich wie auf einem anderen Planeten. Der unangenehme Geruch von Exkrementen in den beengenden Métro-Stationen, sowie die ständige Präsenz von Ratten auf den Bahnsteigen, schnürten mir tagtäglich den Hals zu. Auf die Métro-Fahrer war nur Verlass, wenn es ums Streiken ging. Ansonsten kamen die Dinger grundsätzlich zu spät und waren immer völlig überfüllt. Ich habe mich nie daran gewöhnen können, Menschen-Tetris in den U-Bahnen spielen zu müssen. Von Kopf bis Fuß an fremde Personen gedrückt, mit einem Minimum an Sauerstoff auszukommen und bei den Vollbremsungen nicht umzufallen und dabei zertrampelt zu werden. Das waren Fähigkeiten, die ich in meinem 300-Seelendorf nicht gelernt hatte.

Der Eingang zur Métro, von mir liebevoll Höllenschlund genannt. Im Sommer mal eben in den Park? Viel Glück

Auch Autofahren war keine Option. Der sogenannte Périphérique, an dem kein Weg vorbeiführt, egal wohin man als Pariser möchte, war ständig überfüllt, verstopft und beunfallt. Kaum merklich rollende, dafür gut wahrnehmbar hupende Blechlawinen raubten mir den letzten Nerv.

Meine Wohnung teilte ich mir mit Kakerlaken und Bettwanzen. Sie war 20 qm groß. Sie verfügte über schimmelige Wände und die Deckenhöhe im Bad betrug 1,70m. Sie befand sich in einem Viertel von Paris, in das sich die Touristen nur trauten, wenn sie zum Bahnhof mussten.  Da Luxus bekanntlich seinen Preis hat, kostete diese Behausung auch 1000€ im Monat. Bref, Paris war einfach nicht meine Welt. Also baute ich die Zelte meiner Ungeziefer-WG ab, und reiste weiter.

Arc de Triomphe, ohne Worte, Parc de Versailles

Köln

Ich zog nach Köln, wo ich anderthalb Jahre wohnte und arbeitete. Viva Colonia – Die liebenswerte Stadt am Rhing. Wer kennt sie nicht?!

Berühmt für den Dom, den Karneval und das Bier! Herzliche Menschen, ein liebenswerter Dialekt und eine hübsche Altstadt.Der Rest der Stadt ist leider größtenteils dem 2. Weltkrieg zum Opfer gefallen, daher sind malerische Altbauten spärlich gesät. In der U-Bahn roch es zwar auch ab und an streng, aber die KVB war kein Vergleich zur Pariser Métro; Manchmal bekam ich sogar einen Sitzplatz! Köln ist eine Stadt, die ich wirklich sympathisch finde, sofern man das als Landkind zu einer Ansammlung von knapp einer Million Menschen sagen kann.

Die Kölner Skyline

Wer aufmerksam aufgepasst hat, merkt dass ich mich Schritt für Schritt meiner Heimat näherte. Paradox, dabei hatte ich doch ständig Fernweh?! Na, vielleicht war es ja nicht der geographisch perfekte Ort, den ich unbewusst suchte, sondern ein „Zuhause“?

Ich überlegte, wo ich mich, außer in meinem Elternhaus Zuhause gefühlt hatte (denen wollte ich natürlich nicht antun, dass ihr „Kind“ mit 30 wieder bei ihnen einzieht). Zuhause hatte ich mich immer im Stall gefühlt, bei den Pferden. Dort, wo ich vor meinem Studium jede freie Minute verbracht hatte. Also erfüllte ich mir meinen Lebenstraum, der des eigenen Pferdes. Dieser musste ja bis dato, wegen meiner Reiserei, immer auf der Strecke bleiben.  Ich wälzte die Internetseite von Ehorses und schaute mir ein Dutzend Pferde an. Was ich wollte, wusste ich nicht. Was ich nicht wollte, umso besser; Es sollte auf keinen Fall eine Stute werden.  Bloß kein Fuchs und auch kein junges Pferd, sondern eins mit solider Ausbildung und Erfahrung.

Fienchen, die kleine Fuchsstute, zog 4-jährig bei mir ein. Also nicht bei mir direkt, sondern ich stellte sie in den Stall, der in meiner Jugend mein zweites Zuhause war.Das bedeutete für mich: Pendeln zwischen Köln und meinem Heimatort.  Das war okay, aber es ging wirklich viel Zeit für Fahrerei verloren und ich wollte einfach „mehr“ von meinem Pferd haben. Es fühlte sich noch nicht 100% richtig an, so wie es war. Ein wenig Fine-Tuning musste noch her.

2015 – das kleine Fuchsbaby zieht vierjährig ein

Zuhause

Als ich dann 2017 ein sehr interessantes Jobangebot aus meiner Heimatregion bekam, zögerte ich nicht lange. Ich nahm das Angebot an und zog (Ironie des Schicksals) zurück in einen Nachbarort meines Heimatdorfes mit 300 Einwohnern.

Heute habe ich das tollste Pferd, was ich mir nur wünschen kann. Ich komme nach der Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht, nacheinander erst in mein eines Zuhause, den Stall, und dann in mein zweites Zuhause, meine Wohnung, und fühle mich dabei pudelwohl. Ich bin angekommen und habe seitdem das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass es so bleiben kann. Lustig, dass ich nach dem Abi einfach nur weg wollte.

Heute kann ich guten Gewissens sagen: Ich liebe meine malerische, hügelige Heimatregion, die Eifel. Ich liebe das mürrische Bergvolk, was hier zuhause ist. Ich liebe die kleinen verträumten Bauerndörfer mit 300 Einwohnern. Ich liebe den Luxus, in mein Auto steigen zu können und einfach dahin fahren zu können, wo ich hinmöchte, ganz ohne Streik, Gestank, Ratten oder Menschen-Tetris. Ich liebe es, durch die Felder und Wälder zu reiten, den Wind in den Haaren und die Sonne im Gesicht zu spüren.

Ich liebe mein Pferd.

Ich habe kein Fernweh mehr.

Mein Zuhause, mein Halt, meine beste Freundin

Und die Moral von der Geschicht‘?

Manchmal muss man jahrelang unterwegs sein und dabei hunderttausende Kilometer zurücklegen, nur um herauszufinden, dass man im 6 Kilometer entfernten Nachbarort Zuhause ist.

Dazu braucht es nichts weiter als das richtige Pferd.

 

Lessa & Fienchen

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