Ich hege schon seit einigen Jahren einen gewissen Traum. In der Nähe des Stalls gibt es eine wunderschöne Allee aus Kirschblüten die jedes Jahr im Mai für einige Tage in voller Blüte steht.
Die Kulisse ist einfach jedes Jahr wieder bezaubernd und wirklich wie geschaffen zum Fotografieren. Als hätte jemand diese Allee gepflanzt, nur um dort eine perfekte Fotokulisse zu schaffen. Einmal mit dem Pferd dort Fotos machen! Was würden das für Bilder werden!
Leider befindet sich die Allee mitten in einem Wohngebiet, direkt an einem U-Bahnhof und vor einer sehr beliebten Eisdiele. Hinreiten kann man nicht, höchstens aufladen und hinfahren. Aber dann steht man da mit Anhänger und Pferd im Wohngebiet zwischen U-Bahnstation, Hauptstraße und Eisdiele …
Jedes Jahr wieder, wenn die Kirschen blühen, denke ich darüber nach wie toll es wäre dort zu fotografieren und während ich noch überlege, ob man es nicht doch vielleicht umsetzten könnte, sind die Kirschen auch schon wieder verblüht. Die Pracht ist nämlich nur von kurzer Dauer.
Dieses Jahr hatte ich dann einen Entschluss gefasst: Wir versuchen es einfach! Was soll schon groß schief gehen? Der Zausel fährt sehr artig und gut Anhänger, sollte es vor Ort doch nicht gehen, würden wir aufladen und nach Hause fahren.
Also eine Verbündete gesucht, die uns begleitet, damit der Zausel nicht ganz alleine vor der Eisdiele steht. Das Wetter war seit Tagen perfekt und sehr stabil, die Kirschen standen in voller Blüte, die meine liebste Fotografin konnte sich Zeit für uns nehmen, also los!
So begeistert ich die Tage vorher von meiner Idee war, desto mehr Zweifel kamen dann doch auf, als ich den Zausel fotofertig machte, den Anhänger ankuppelte und viele hochgezogene Augenbrauen erntete, nach dem ich die ehrliche Antwort auf die Frage, wo es denn hingehen soll, gab. Vielleicht war das doch eine etwas zu verrückte Aktion!?
Leute fahren ihre Pferde zwar ständig durch die Gegend, aber zumeist sind wenigstens die angestrebten Ziele in der Regel auf Pferde eingestellt. Und darf man das überhaupt? In eine öffentliche Parkanlage mit Pferd? Was wenn uns eins der Pferde abhauen würde und dann mitten durch die Stadt laufen würde? Was wenn eins der Pferde so aufgeregt sein würde, dass es sich nicht mehr verladen ließe? Vielleicht war das doch alles nicht so eine ganz tolle Idee?
Andererseits reiten wir auch sonst auf dem Weg zum Wald durchs Dorf, so unbekannt würde die Situation nicht sein und der Zausel ist zwar in fremden Umgebungen aufgeregt, aber nicht völlig unzurechnungsfähig. Seine vierbeinige Begleitung außerdem von ausgesprochen entspanntem Temperament und meine zweibeinige Verbündete voll sorgloser Vorfreude auf die tollen Fotos die entstehen würden. Also Pferde verladen und los ging es.
Beide Pferde stiegen sofort direkt absolut vorbildlich in den Anhänger ein und genauso vorbildlich auch wieder aus. Leider waren wir etwas später dort als gedacht, so dass wir etwas Zeitdruck wegen der immer tiefer stehenden Sonne hatten. Uns blieb nur ungefähr eine Stunde für die Fotos, ehe die Sonne untergehen würde.
Dafür war die Lichtstimmung einfach perfekt!
Zu unserer Überraschung waren wir mit unserer Idee auch nicht alleine und zwei weitere Pferde wurden in den Kirschen fotografiert.
Wir suchten uns ein schönes Plätzchen ohne die anderen zu behindern und haben direkt angefangen zu fotografieren. Vielleicht ging es alles ein bisschen zu schnell, der Zausel war auf jeden Fall noch nicht in der Situation und seiner Aufgabe angekommen. Er war sehr unruhig, mochte nicht stillstehen, brüllte ständig nach seinen zu Hause gebliebenen Homies. Schöne Fotos waren so nur sehr schwer möglich. Weil es sich wirklich sehr schwierig gestaltete, kam dann erstmal das Pony dran, welches seinen Job hervorragend machte und recht schnell viele Posen anbot, so dass der Zausel einen weiteren Versuch bekam. Es blieb aber wirklich schwierig mit ihm, mitunter wurde er sehr rüpelig und stumpf, rannte mich einfach um, stieg mich an und brüllte in einer Tour. Wahlweise ging noch auf und ab gehen oder Gras fressen. Alles nicht wirklich fotogen und nicht das, was unsere liebste Fotografin von uns sehen wollte.
Mit der untergehenden Sonne und dem schwindenden Licht hatte ich auch ständig den Zeitdruck im Nacken, gleich würde unsere Chance auf die schon so lange erträumten Bilder verpasst sein, dabei hatten wir doch erheblichen Aufwand betrieben, um hier her zu kommen. Und der Zausel wollte einfach nicht mitspielen. Ja, ich gebe zu, ich wurde zunehmend genervter und gestresster, was sich sicherlich auch alles andere als positiv auf mein Pferd auswirkte. Wir wechselten uns immer mal wieder mit dem Pony ab, unternahmen mehrere Anläufe, aber wirklich zur Ruhe kam der Zausel leider nicht.
Als die Sonne ganz weg war, als es keine Chance mehr auf Fotos gab und als das Shooting ganz offiziell beendet war, da wurde er dann ruhiger und stand auch mal ein paar Augenblicke neben mir und schaute einfach in die Gegend. Das Pferd ist eben auch immer ein Spiegel unserer selbst. Willst du zu viel, klappt gar nichts.
Auf dem Heimweg war ich ehrlich gesagt sehr geknickt. Ich glaubte, keine schönen Bilder für den Aufwand bekommen zu haben, und weil die Blütezeit nur so kurz ist frühestens im nächsten Jahr eine neue Chance zu haben und ich war zwischendurch echt genervt und grob dem Zausel gegenüber geworden. Als er gar zu rüpelig wurde und mich einfach umrannte, mich am Halfter über die Wiese hinter sich herzog, mich anstieg, weil er nicht stillstehen wollte, hat er ein paar deutliche Klapse bekommen. Ich wusste mir in der Situation nicht anders zu helfen und er nahm mich einfach nicht mehr wahr, ohne dass ich so deutlich wurde. Wahrscheinlich kann man das unter dem Aspekt der Sicherheit und des Respekts rechtfertigen, vielleicht auch, weil Pferde untereinander auch schon mal ganz schön ruppig miteinander umgehen und meine Klapse im Gegensatz zu den vielen Schnappern, die die Pferde in der Herde so austauschen, wohl eher harmlos ausfallen.
Trotzdem fühlte sich das im Nachhinein nicht gut an und ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen. Weil ich die Fotos wollte, musste er stillstehen, weil wir so wenig Zeit hatten, musste er das sofort und nicht, nachdem er sich ein bisschen an die Situation gewöhnt hatte. Ich habe nicht richtig reagiert an diesem Abend und meinen Willen vor das Wohlergehen meines Pferdes gestellt. Das fühlte sich falsch an und war auch falsch. Den ganzen Abend hat mich das noch belastet, weil ich dem Zausel gegenüber ein so schlechtes Gewissen hatte.
Dank der besten Fotografin sind trotzdem tolle Fotos entstanden und wenigstens dafür hat es sich gelohnt. Für die nächste Fotoaktion habe ich mir fest vorgenommen das Stillstehen am Boden mehr zu üben, mehr Aufmerksamkeit des Zausel zu Hause in fairen Bedingungen zu fordern und dann viel viel mehr Zeit einzuplanen, damit er sich ganz in Ruhe einfinden kann, entspannen kann und dann vor eine Aufgabe gestellt wird, die er auch bewältigen kann. Das, was ich an diesem Abend von ihm verlangt habe, konnte er einfach nicht bewältigen, weil wir das nie Zuhause „trocken“ wirklich üben und es dann unter der Aufregung einfach zu viel verlangt ist.
Ich glaube, die Offenstallhaltung kommt in diesem Fall auch noch erschwerend hinzu, weil er einfach eine sehr starke Bindung zu seiner Herde hat. Er ist eigentlich auch nie alleine unterwegs, sondern wenn er mal getrennt von der Gruppe ist, ist zumindest immer mit der Stute meiner Mutter noch an seiner Seite. Wahrscheinlich wäre es auch besser gewesen, sie anstatt des Ponys meiner Freundin mitzunehmen, zumindest wenn ich den Zausel gefragt hätte. Das hätte ihm sicherlich auch deutlich mehr Sicherheit gegeben als ich das konnte.
Am Ende haben wir doch tolle Bilder bekommen und ein paar Hausaufgaben für Zuhause, damit das nächste Fotoshooting besser klappt.