Der Zausel hat nun weitere zwei Wochen auf der Weide rumgestanden. Der letzte Besuch vom TA war mehr oder weniger aufschlussreich und er kuriert vermutlich eine Knochenhautreizung aus. Vermutlich deswegen, weil der Befund irgendwie nicht so ganz eindeutig ist, es aber die naheliegenste Vermutung ist. Verordnete Therapie: Schonzeit auf der Weide, das Bein mit Heparinsalbe einschmieren, abwarten und Tee trinken, in zwei Wochen sollte es besser sein.
Das wäre dann der Montag gewesen, also habe ich das Zauselchen an die Longe gehängt und ihn ein klein wenig traben lassen. War leider nicht besser. Genau genommen ist alles unverändert, das Bein wird sofort nach den ersten zwei Runden im Trab dick.
Also habe ich noch mal mit dem Tierartz Rücksprache gehalten, wie wir nun weiter vorgehen wollen. Er würde dann gern sicherheitshalber eine Ultraschalluntersuchung machen, nur um zu gucken. Sicherheitshalber… Ihr erinnert euch an den letzten Beitrag? Irgendwie nervt mich dieses sicherheitshalber. Die Sache ist die: Der Zausel hat ständig irgendwelche Wehwehchen, außerdem hat er einen besonderen Hang zu ungewöhnlichen Erkrankungen, Sachen, auf die man sich nicht so direkt einen Reim machen kann, bei denen es irgendwie keine so eindeutige, schnelle Diagnose gibt. An vielen solcher Wehwehchen haben wir wirklich lange herum gedoktert, für viele gab es nie so wirklich eine stichfeste Diagnose und sie verschwanden mit der Zeit. Macnhe treten auch aus nicht so ganz eindeutigen Gründen immer wieder auf. Immer wieder waren wir an einem Punkt, wo den Tierärzten nicht mehr so viel eingefallen ist und wo wir dann sicherheitshalber noch mal diese oder jene Untersuchung gemacht haben. Ehrlicher Weise sind wir bei diesem eher blinden rumuntersuchen nie wirklich auch eine Diagnose gekommen.
Diese Sache mit dem dicken Bein hatte er genau vor einem Jahr schon mal. Auch da, plötzlich eine Schwellung, zunächst schwammig am ganzen Bein, dann nach einiger Zeit dieses Ei, das sich nach der Bewegung bildet. Wir haben mehrfach geröntgt, mehrfach geschallt, irgendwie alles ohne Ergebnis. Von Juli bis Oktober stand er deswegen nur auf der Weide, den ganzen Sommer haben wir reittechnisch verpasst. Ich bin ohne ihn nach Sylt gefahren, die Stoppelfeldsaison ging an uns vorbei und irgendwann im Oktober haben wir dann wieder langsam angefangen, trotz der Schwellung. Weil sich einfach nichts änderte am Bein, zwei TÄ keinen Befund feststellen konnten und wir dann irgendwann den Versuch gewagt haben, ob es unter regelmäßiger Bewegung nicht vielleicht besser oder zumindest auch nicht schlechter wird.
Es wurde besser und so gegen November war dann nichts mehr zu sehen am Bein.
Ich habe dann langsam wieder antrainiert und wie das immer so ist: Die Kondition war recht schnell wieder hergestellt, Muskulatur, Durchlässigkeit und Kraft haben eine ganze Weile gedauert.
Diesen Sommer nun also wieder das gleiche Spiel, ungefähr Ende Juli, vielleicht auch Anfang August war das Bein plötzlich nach dem Reiten dick. Das war auf Sylt, immerhin hatte er solange durchgehalten, dass ich noch ein gesundes Pferd mitgenommen habe. Das hat er wohl beim letzten mal gelernt, reicht er zu früh den gelben Schein ein, bringt ihn das um seinen Jahresurlaub, da muss man dann noch mal zwei Wochen die Zähne zusammen beißen, ehe man den Urlaub dann einfach auf der heimischen Weide verlängert.
Jetzt haben wir Anfang September, haben das Bein ohne so ganz deutlichen Befund geröngt, und nun soll also sicherheitshalber ein Ultraschallbild gemacht werden.
Ich sehe es schon kommen, in ein paar Wochen haben wir Oktober, zusätzlich zu den bereits angefertigten Röntgenbildern dann auch noch ein oder zwei Ultraschalluntersuchungen und letztlich doch keine Diagnose. Nach 8 Wochen Pause entscheiden wir dann, dass man es auf einen Versuch ankommen lässt, ob es überhaupt schlimmer wird, wenn man trotzdem reitet. Und mit etwas Glück wird es das nicht und ich kann wieder anfangen zu reiten.
Bis zur nächsten periodischen Beinentzündung oder was auch immer der Zausel dann wieder hat.
Und da sind wir wieder, mitten drin im Zauselkarusell, dass sich unermüdlich dreht und dreht und dreht zwischen Wehwehchen und antrainieren.
Ich bin ein bisschen müde geworden, wenn ich ehrlich bin. Ich habe immer an den Zausel geglaubt, habe immer gesagt, wir kriegen das in den Griff. Chronische Bronchitis? Wir bauen einen Offenstall! Borreliose? Die Heilpraktikerin wird’s richten! Herzgeräusch? Mit regelmäßigen Kontrollen unbedenklich! Bösartige Hauttumore an mehreren Stellen? Wir lassen es in einer schweineteuren OP alles weglasern!
Wir haben das alles in den Griff bekommen. Aber es kommt immer wieder etwas neues. Jedes Jahr. Es ist wirklich kein Jahr vergangen, in dem der Zausel einfach mal durchgelaufen wäre. Immer war irgendwas. Nichts was man nicht wieder hinbekäme, aber eben immer und immer wieder kleine und große Wehwehchen, die uns zu ständigen Pausen zwingen.
Und dann flattert da der Auktionskatalog in den Briefkasten. 50 junge, talentierte Pferde, die einem die große Reitsportkarriere versprechen. Den reitbaren Untersatz einfach neukaufen, den alten unbrauchbaren gegen einen schicken neuen tauschen, der einfach mal funktioniert. Ganz ehrlich, das klingt verlockend. Das Problem an der Sache ist nur, dass ich an dem alten Esel wirklich hänge und da irgendwie doch immer noch die Hoffnung ist, dass es irgendwann mal ausgestanden sein müsste. Bald haben wir ja wirklich alles durch, oder? Und bei aller Träumerei, die so ein schickes, neues, junges Talent befeuert, kann ich den Realitätssinn dann doch nicht ausschalten: Einfach neu kaufen ist keinesfalls ein Garant dafür, dass es dann besser funktioniert, das habe ich mittlerweile auch schon schmerzlich gelernt. Da bleibe ich doch lieber bei dem alten Esel, da weiß ich wenigstens, woran ich bin und es können keine falschen Hoffnungen mehr zerstört werden. Fast keine zumindest. Irgendwann schaffe ich es vielleicht ja auch noch, mich von jeglicher Hoffnung freizumachen und einfach die Zeit zu genießen, die wir haben. Reitbar oder nicht, mit dickem Fuß, keuchender Lunge, rauschendem Herzen, mal besser mal schlechter gelaunt, aber immer: Mein geliebtes Zauselchen.
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