Herrlicher Sonnenschein im November, angenehme Temperaturen, trockene Wege und wunderbar verfärbtes Herbstlaub – wer bei solchen Bedingungen in der Halle oder auf dem Platz reitet, ist selbst Schuld. Das Wetter muss man ausnutzen, solange es noch geht. Also die Pferde gesattelt, aufgesessen und auf zu einem entspannten Ausritt!
Aber halt, wie war das? Entspannt? Die Rechnung habe ich ohne den Dressuresel gemacht.
Den Klischee-Dressuresel haben wir wohl alle vor Augen: Vier mal weiß Bandagiert, dazu Glocken in doppelter Ausführung, mit Lack und Glitzersteinchen, klar. Guckt schon schräg, wenn eine neue Jacke an der Bande liegt. Das Aussenviereck sieht er selten (weil er da immer so glotzt) und ins Gelände geht es höchstens mal zu einer kleinen Schrittrunde, die das arme Tier derart aus der Fassung bringt, dass es Augen rollend auf der Stelle tänzelt.
So einen Dressuresel habe ich ja zum Glück nicht, ich meine klar, es handelt sich laut Papier eindeutig um ein Dressurpferd, aber ansonsten ist der Zausel dem Klischee-Dressuresel so fern wie ein Shettlandpony. Er hat den gleichen Plüsch, bewohnt ebenfalls einen Offenstall, hat eine ähnliche Figur und genießt jede Menge freie Bewegung und allerlei Umweltreize. Außerdem beschränkt sich sein Bewegungsradius nicht nur aus Halle-Stallgasse-Halle sondern er darf sehr regelmäßig kleine und große Runden ins Gelände gehen. Man sollte annehmen, er hat sich auch gemütsmäßig an seine kurzbeinigen Kollegen angenähert und zeichnet sich ebenfalls durch einen ausgeglichenen Charakter und gute Nerven aus.
Wegen einer Impfung hatten er und seine schwarze Begleitung das Wochenende pausiert und auf der Weide verbracht. Dieser Umstand ließ uns kurz stutzen, ob es wohl so eine gute Idee wäre, auszureiten, aber mal ehrlich, die Pferde standen das ganze Wochenende auf der Weide, kein Grund unentspannt zu sein, oder?
Kaum waren wir am Viereck vorbei geritten und auf den Weg Richtung Gelände abgebogen, fing des Zausels schwarze Begleitung an, nervös auf dem Gebiss zu nagen und auf der Stelle zu trippeln. Der Zausel ging zwar noch artig Schritt, legte aber ein derart übermotiviertes Tempo vor, dass ich wusste: Er singt im Kopf gerade: „Es geht los, es geht los, es geht loohhhoos!“
Nun ist ja ein Pferd, welches motiviert und fleißig ins Gelände marschiert, nicht das schlechteste, ich war also noch ganz frohen Mutes, dass das ein toller Ausritt werden würde und gebe zu: Ich habe auch ein bisschen mitgesummt „Es geht loohhhoos…“
Keine 500 m vom Hof entfernt habe ich mich dann allerdings das erste Mal gefragt, ob der Zausel eigentlich noch alle Latten am Zaun hat: Auf einer Weide lag ein Pferd und schlief. Das sollte nun eigentlich für ein anderes Pferd kein Grund sein, in Panik zu verfallen. Erst recht nicht für einen Offenstallbewohner, der sehr regelmäßig, quasi täglich, von schlafenden Artgenossen umgeben ist. Dem Zausel sind allerdings beim Anblick des liegenden Pferdes fast die Augen aus dem Kopf gefallen und auch nach kurzer, intensiver Betrachtung des „ungewöhnlichen“ Anblickes hat er die Situation für so gefährlich eingestuft, dass er sich gezwungen sah, die sofortige Flucht in die entgegengesetzte Richtung einzuleiten. Es brauchte einige Überredungskunst, um den prustenden und glotzenden Zausel schließlich doch am friedlich schlummernden Artgenossen vorbei zu lotsen. Auf dem Weg durchs Dorf zuckte er dann noch mindestens 10 mal wegen höchst gefährlicher Dinge wie knackenden Ästen, raschelndem Laub, Steinen oder Baumstämmen am Straßenrand, weißen Big Packs und allerlei anderem zusammen und schlingerte mit großen Augen und vielen „Ohhhh“s und „Ahhhh“s im Slalom die Straße entlang.
Weil bei so viel Aufregung ja meistens Bewegung die beste Therapie ist, wechselten wir, sobald wir im Wald angekommen waren, in die nächst höhere Gangart, um ein bisschen Spannung abzubauen. Zausels schwarze Begleitung steppte so flott vorweg, dass der Zausel nach wenigen Metern einen Getriebeschaden erlitt: Der zweite Gang ging einfach nicht mehr rein. Als wäre er als Zweigänger auf diese Welt gekommen konnte er nur noch Schritt oder Galopp. Wobei so richtig funktionieren tat der Schritt eigentlich auch nicht mehr. Als wir einige andere Reiter auf ihren sehr gemächlich dahin schreitenden Haflingern, Friesen und Tinkern überholten, nagten beide Pferde wieder nervös auf ihren Gebissen und trippelten prustend an der gemütlichen Kolonne vorbei, um sogleich mit hochmotiviertem Anzuckeln zu signalisieren: Bahn frei, ab geht die Post!
Als Reiter fühlt man sich bei solchen Ausritten allerhöchstens als lästiger Bremsklotz und spießiger Spielverderber („Äh nein, wir können andere Pferde nicht im Galopp überholen! Und nur weil die Bodenverhältnisse es erlauben WÜRDEN hier zu galoppieren, heißt dass nicht, dass das die einzige Möglichkeit ist!“) Mit harmonischem Seele baumeln lassen, die Natur zusammen mit seinem Partner Pferd zu erleben, mal vom Alltag zu ENTSCHLEUNIGEN hatte das auf jeden Fall wenig zu tun, wenn gleich die werten Tiere durchaus ihr Vergnügen an unserem Ausflug hatten.
Wir sind letztlich heile wieder zuhause angekommen und konnten den Ausritt ohne große nennenswerte Aussetzer beenden.
Es blieb aber die Erkenntnis, dass bei aller Bemühungen, die Pferde zu entspannten Freizeitpferden zu machen, der bekloppte Dressuresel doch einfach drin steckt, Offenstall hin oder her. Ein Dressuresel bleibt eben doch ein Dressuresel, auch wenn er im Shettlandponyoutfit daher kommt.