Dies ist ein Gastbeitrag von Birte, die mit ihrem Rappwallach über glückliche Umstände zum Fahren kam und hier beschreibt, was das Fahren für sie so besonders macht:
Reiter haben ja meist ganz bestimmte Bilder vor Augen wenn sie Wörter wie Kutsche, Kutsche fahren oder Kutschpferde hören. Ist fast ein Pawlow`scher-Reflex. Und, machen wir uns nichts vor, die Bilder sind nicht immer unbedingt die Besten. In unserer Phantasie haben sowohl tierischer als auch menschlicher Part eines Gespanns einen eher ungünstigen Body-Mass-Index und schluffen gemeinschaftlich wenig energiegeladen durch die Gegend. Ich gehe da lieber nicht weiter ins Detail. Ich war genauso. Reiter durch und durch eben. Nie hätte ich mir vorstellen können hinter dem Pferd zu sitzen statt oben drauf. Ist doch nur was für Leute die nicht (mehr) reiten können. Man hat ja so seinen Stolz, und auch gewisse Ansprüche an das Gearbeitet-Sein eines Equiden. Klassischer Fall von „Keine Ahnung“.
Action in der Geländeprüfung
Und dann hatte ich eine Begegnung. Ich schaute, ich erlebte, ich staunte, und ich fing an darüber nachzudenken. Durch puren Zufall war ich Glückskind an jemanden geraten, der vom so genannten Kutsche fahren deutlich mehr verstand – als ich sowieso, und als viele andere auch, wie ich inzwischen weiß. Erstmal habe ich mir das Tun nur so angeschaut. Die Pferde kannte ich ja. Vom Sehen. Schluffen bei uns in der Stadt für die Touristen mit dem Planwagen dran durch die Gassen. Siehe oben. Nun saß ich also neben diesem Mann, ließ mich durch die Feldmark fahren und fühlte mich unbehaglich, so ohne Kontrolle über die Pferde. Dann sah ich ihm bei dem zu, was ich anfangs „Stricken“ nannte. Er spielte mit seinen Händen, sie glitten auf den Leinen vor und zurück, griffen mal hierhin mal dahin, eine immerwährende Verbindung zu den Pferdemäulern. Er sprach die Kollegen vor dem Wagen an, mal leise, beruhigend, mal knapp und deutlich. Er touchierte hier und da mit der Peitsche, die nicht nur nutzlos im Köcher steckte. Und mit den Pferden ging eine Verwandlung vor sich. Die Mäuler kauten zufrieden, die Ohren spielten, jede neue Ansprache aufmerksam erwartend. Frisch trabten sie vorwärts, energisch fußend, die Schweife pendelten, Hälse und Rücken wölbten sich. Waren das dieselben Planwagengäule? Wow.
Das war meine erste Begegnung mit FAHREN. Und der Beginn eines langen Weges.
Nun macht wahrscheinlich nicht mal Michael Freund, der Godfather des deutschen Fahrsports, aus einem Planwagenpferd einen Don Hitmeyer fürs Große Viereck. Entscheidend ist aber die Erkenntnis: Es gibt einen guten Grund warum die FN in ihren 6 Grundlagenbüchlein einen ganzen Band für das Fahren reserviert hat. Weil gutes Fahren für das Pferd genauso nützlich ist wie gutes Reiten oder gutes Longieren. Das kennen wir, nicht? Gute und richtige Arbeit machen das Pferd schöner und stärker. Das haben sogar Profis anderer Fraktionen für sich erkannt, und machen sich die vielen guten Einflüsse des Fahrens auf Körper und Geist des Pferdes für ihr Training zu Nutze. Man hört das z.B. vom Ludger Beerbaum.
Wenige Monate vor dem Wagen – der 1. Turnierstart
Wie kommt denn nun aber das Pferd vor den Wagen? Einfach davor schnallen verbietet der gesunde Menschenverstand. Obwohl wahrscheinlich jeder das Klischee kennt, Fahrpferde könne nichts erschüttern. An jedem Klischee ist ja immer ein Körnchen Wahrheit, und es stimmt, die Mehrheit der Fahrpferde, so sie gut ausgebildet sind, ist ziemlich abgeklärt. Und zwar nicht, weil sie grundsätzlich nach ihrem stoischen Charakter ausgewählt worden wären. Das kann man in den vielfältigen Einsatzgebieten eines Fahrpferdes auch wirklich nicht gebrauchen. Sondern aufgrund einer langen, individuellen, einfühlsamen Ausbildung, in der das Neu-Fahrpferd lernt, sich selber, seinem Körper und seinem Menschen zu vertrauen. Das passiert in kleinen Schritten und es dauert so lange wie es dauert. Mal so, mal so. Niemand kann eine verlässliche, seriöse Auskunft darüber geben, wie lange Pferd X oder Pferd Y brauchen, bis sie eine Kutsche ziehen. Muskeln müssen gebildet werden, eine andere Belastung akzeptiert und ausgehalten werden. Zudem: Pferde lernen durch Wiederholung und können sich nur über kurze Abschnitte konzentrieren. Also wiederholt man: das Auflegen des Geschirrs, natürlich in kleinen Einzelschritten. Die Arbeit an der Doppellonge, mit Blendklappen, die das Sichtfeld einschränken, und die so wichtig sind für die spätere punktgenaue Verwendung der Peitsche. Die Schweifmetze, die erstmal drückt, wenn es den Schweif einklemmt. Die Stränge, die gegen die Beine schlagen, und auch mal dazwischen geraten. Der unbekannte Druck auf die Brust, wenn ein erstes leichtes Gewicht dranhängt. Und das mutige Voranschreiten, wenn komische Geräusche hinter einem oder Gespenster vor einem sind, und man die aufmunternden Worte seines Menschen nur hört, aber ihn nicht sieht. Ein Pferd, das es bis vor den Wagen geschafft hat, hat Großes geleistet, und dieser zurückgelegte Weg macht es stark und sicher.
Und nun der (zukünftige) Fahrer. Was für eine Verantwortung er trägt! Ein Lebewesen, groß und stark, und im Ernstfall, das wissen wir Reiter aus leidlicher Erfahrung, so schnell weg. Das Pferd gibt sich in die Hände des Fahrers, kann ihn nicht sehen, folgt seinen Worten, seinen Fingern, die die Leinen umschließen, seinem verlängerten Arm, seinem Schenkelersatz. Voller Vertrauen. Was für ein Gefühl!
Viele Jahre Arbeit – Fahrdressur in Vollendung: Internationale Prüfung Kl. S
Aber genau wie für das angehende Fahrpferd haben die Götter der Fahrkunst auch für den fahrerischen Newbie einen langen, steinigen Weg vorgesehen. Erstmal lässt man ihn in weiser Voraussicht nämlich gar nicht auf den Bock – zur Schonung der Pferde. Es gilt zu lernen wie der Bausatz Fahrgeschirr funktioniert. Unzählige Einzelteile, die alle einem bestimmten Zweck dienen und ihren ganz bestimmten Platz am Pferd haben. Wie war das nochmal mit der Anatomie? Wenn die Auswahl des passenden Sattels ein Meisterstück ist, dann ist das Verpassen des Geschirrs die Promotion. Warum? Weil alles, was nicht richtig sitzt, dann scheuert, drückt, schmerzt oder die Bewegung und die Leistung einschränkt. Und am Ende hat man vielleicht ein Pferd, das vom Fahren nicht mehr besonders viel hält. Eine Grundsatzdiskussion über die Sinnhaftigkeit des Fahrens mit 600 kg Pferd braucht kein Mensch.
Und dann wäre da noch das Hauptproblem – wie zum Teufel beherrscht man ein Gespann, wo doch der Reiter seiner wichtigsten Hilfen Gewicht und Schenkel beraubt wurde? Der Fahrer hat nur Peitsche, Leine, Stimme. Es kann, darf, muss gesprochen werden, und wer clever genug ist „programmiert“ sein Reitpferd schon bei der Arbeit unter dem Sattel auf die Kommandos, die er fürs Fahren anzuwenden gedenkt. Aber auch wenn der Pferdekopf groß ist – bitte nicht das arme Tier zutexten. Klare, einfache Signale mit der entsprechenden Intonation werden gut verstanden und hoffentlich umgesetzt. Die Peitsche ist unser verlängerter Arm und ersetzt uns den Schenkel. Ein Pferd kann eine Fliege auf dem Fell spüren, also arbeiten wir mit leichtem Touchieren, Vibrieren oder dauerhaftem Anlegen, um z.B. eine Wendung zu unterstützen. Bleibt noch die Leine. Sie ist die Nervenbahn. Auf den drei Metern schmalem Leder zwischen Fahrerhand und Pferdemaul spielt sich unendlich viel Kommunikation ab. In beide Richtungen. Und auch die will trainiert werden. Damit das Fahrschulpferd nicht einem Gesprächssalat erliegt kommt der angehende Fahrer erstmal an den Simulator. Und hier am Fahrlehrgerät werden all die kunstvollen Griffe einstudiert, die das Gespann am Ende hierhin und dahin lenken, die für die stetige weiche Verbindung sorgen und die die Basis für eines der wichtigsten Kriterien der Ausbildungsskala sind: Anlehnung. Wie jetzt, Ausbildungsskala? Gilt die etwa auch fürs Kutsche fahren? Klares JA! Und da sehen wir endlich: Reiten und Fahren sind gar nicht so weit voneinander weg. Fahren ist am Ende Reiten mit anderen Mitteln.
Und jetzt sind wir endlich auf den Punkt gekommen, und lassen uns das nochmal auf der Zunge zergehen. Fahren ist Reiten mit anderen Mitteln. Das impliziert nämlich, dass das Fahrpferd genauso schön gehen kann wie das Reitpferd. OK, für ein paar physikalische Einflüsse wie z.B. die Zugbelastung müssen wir leider Punktabzüge vergeben. Aber es spricht nichts, absolut nichts dagegen, dass wir uns nach Kräften bemühen unser Fahrpferd genauso zu gymnastizieren, auf feine Hilfen zu sensibilisieren und die Vervollkommnung der Skala der Ausbildung, die Durchlässigkeit anzustreben, wie es der Reiter tut. Nur dass es unendlich viel herausfordernder ist und viel mehr Überlegung und Phantasie erfordert. Wenn man mich eines Teils meiner Mittel beraubt, wie schaffe ich es trotzdem meinen Weg zu verfolgen? Es müssen Alternativen gesucht, probiert, verworfen, gefunden werden. Gemeinsam mit dem Partner Pferd. Und das führt am Ende zu einer Einheit, die den des Zentaurs bei weitem übertrifft. Oh ja, es fühlt sich schön an, wenn dein Pferd unter dir tanzt und auf leiseste Hilfen Lektionen abgerufen werden können. Um wieviel grandioser aber ist dieses Spektakel, wenn du DAHINTER sitzt und deinem Pferd dabei ZUSCHAUST? Wow, das ist der ultimative Flow, ich sage es euch!
So, jetzt erstmal durchatmen … Ich bin diesen langen Weg gegangen, und die Erfüllung, die ich auf dem gemeinsamen Ausbildungsweg mit meinem Pferd erlebt habe, lässt sich mit nichts vergleichen, was ich beim Reiten gefühlt habe. Und es war ein langer Weg, das kann ich ohne Übertreibung behaupten. Das Pferd ein gerade angerittener Nichtsnutz, der beim Vorbesitzer als erstes gelernt hatte, dass der Mensch auch nicht weiter weiß und man sein Heil besser in der Flucht sucht. Und der Fahrer, ein Lehrling noch, dessen gerade zweijährige Turnierkarriere der Geduld und der soliden Ausbildung eines grundanständigen vierbeinigen Lehrmeisters geschuldet war. Kein Mensch hätte geglaubt, dass dieser gemeinsame Weg über viel Zeit und Rat in die Klasse S führen würde.
Das braucht Kraft und Vertrauen: im vollen Galopp ins Wasserhindernis
Wie kommt man aber nun an eine solche Ausbilderkompetenz, wie sie mir glücklicherweise über die Füße fiel? Jemand mit viel Erfahrung, viel Pferde-Knowhow von oben wie unten, und einem pädagogischen Händchen für Mensch und Pferd? Das ist leider die Krux, ich kann es nicht anders sagen. Die Population an Fahrern ist bedeutend kleiner als die an Reitern. Analog verhält es sich mit der Zahl der Ausbilder. Zieht man noch die ab, die nur nach Schema F, mit Blick auf die Uhr und aufs Monetäre oder einfach nur schlecht ausbilden, bleiben nicht mehr viele übrig. Traurig aber wahr. Fahren ist nicht einfach und nicht ungefährlich. Fehler in der Ausbildung oder das allseits beliebte Schnell-schnell führen leicht in eine mehr oder weniger große Katastrophe und verleiden manch Probanden das Fahren auf immer.
Wer wirklich Fahren lernen möchte, allein oder mit seinem Pferd, dem rate ich von Herzen: Geht und besucht ein Fahrturnier. Oder zwei oder drei. Die Fahrer verbringen dort das ganze Wochenende, es ist Zeit sie zu beobachten, und man kann sie ansprechen. Schaut, wie sie auf dem Abfahrplatz fahren. Wie sie ihr Gespann in der Prüfung präsentieren. Wie sie mit ihrem Sportpartner Pferd umgehen. Denkt euch den Wagen weg und guckt nur auf die Pferde. Und dann sucht denjenigen auf, dessen Vorbereitung und Vorstellung euch harmonisch erscheint und dessen Bild euch am meisten an die Abbildung erinnert wie ein gut gerittenes Pferd im Band 1 der FN-Richtlinien dargestellt wird. Und dann geht ihr zu dem Menschen hin und fragt ihn, nach seinen Pferden, wie er zum Fahren gekommen ist und wer ihn ausgebildet hat oder derzeit trainiert. Vielleicht ladet ihr ihn oder sie zum Bierchen ein, redet noch ein bisschen länger und sammelt all diese Informationen. Und dann findet ihr mit ein bisschen Glück eure persönliche Fahrkompetenz, die euch auf eurem Weg begleitet und erlebt dieselbe Erfüllung wie ich.