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EM Aachen 2015 – mein Erfahrungsbericht

Seit vielen Jahren ist es in meiner Familie schon Tradition, zum CHIO nach Aachen zu fahren. In den letzten Jahren haben wir diese Tradition allerdings schleifen lassen und als ich im letzten Jahr mitbekam, dass die Tickets für die EM, die 2015 in Aachen stattfinden sollte, rauskamen, habe ich direkt welche gekauft und mich riesig gefreut, endlich mal wieder vor Ort zu sein. Mit Anreise und Übernachtung ist das Ganze natürlich ein ziemlicher Aufwand, aber Aachen ist für mich einfach das schönste Turnier überhaupt und ich fuhr voller Vorfreude dorthin.
In diesem Jahr war es wie gesagt nicht das klassische CHIO, sondern die EM. Dementsprechend war doch einiges anders. Größter Unterschied war sicherlich, dass die Dressur und das Springen nicht gleichzeitig stattfanden, sondern nacheinander, so dass die Dressur wie bei der WM 2006 im großen Hauptstadion stattfand, in welches rund 40.000 Menschen passen.
Wir kamen am Freitag Nachmittag an, als gerade die Geländeprüfung lief (nicht Teil der EM, aber Qualifikation für die Vielseitigkeits-EM). Wir haben einen Teil der Strecke angeschaut und sind dann in das Stadion, wo die letzten vier Sprünge waren, inkl. einem Wassersprung, und auch das Ziel. Die Stimmung war toll und erreichte den Höhepunkt, als Ingrid Klimke mit Escada als letzte Starterin ins Stadion galoppierte und den Sieg erritt. Die Menge tobte, ich habe es für euch gefilmt:

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Das war schon mal ein toller Auftakt für das Turnier. Am Samstag stand dann der Grand Prix Special an, die erste Einzelentscheidung für die Dressurreiter. Wir waren bereits etwas früher auf dem Gelände, wo es ca. 200 Aussteller gab – ich sage euch, es war ein reines Shopping Paradies! Aber dazu später mehr. Schön fand ich, dass man den Startern beim Abreiten zuschauen konnte, das haben wir vor der Prüfung gemacht. Nicht so schön war allerdings, welches Bild sich uns auf dem Abreiteplatz bot. Auf einem Viereck ritten die ersten Starter des Grand Prix Special ab, auf dem Viereck daneben ritt Edward Gal seinen Undercover, mit dem er als letzter Starter erst am Nachmittag dran war. Was er da machte sollte wohl „leichte Morgenarbeit“ sein, allerdings wurde einem beim Zusehen ganz anders. Es war schlichtweg eine Qual, zu sehen wie Edward Gal dieses Pferd systematisch zusammenzieht, wie das Pferd sich sichtlich unwohl fühlt und permanent so eng gehen musste, dass er sich fast in die Brust biss. Das ging immer genau 8 Minuten, dann folgte eine Runde am langen Zügel in hektischem Schritt, und dann ging das ganze von vorne los. So sind die Regeln der FEI, das ganze nennt sich dann „Low, Deep, Round“ (LDR). Wir kennen die Diskussion ja nicht erst seit gestern, aber das ganze mal in live zu sehen, und vor allem mitzubekommen, wie tausende Menschen daneben stehen und Edward Gal es für das Selbstverständlichste der Welt hält, sein Pferd in aller Öffentlichkeit so zu reiten – das war sehr traurig und ich fühlte eine hilflose Wut in mir.

Im Grand Prix Special selber war der Unterschied der verschiedenen Reitweisen aus meiner Sicht ganz klar zu erkennen. Die Deutschen (zumindest die drei deutschen Starter an dem Tag) sind meiner Meinung nach ein absolutes Vorzeigebild des Dressursports, alle drei lieferten tolle Leistungen ab, auch wenn kleine Fehler dabei waren.

Die Niederländer hatten allesamt tolle Pferde, aber man sieht ihnen die Reitweise leider an: Die Pferde gehen alle keinen versammelten Trab, sondern reißen die Vorderbeine unnatürlich nach oben, während die Hinterbeine nicht entsprechend mitkommen, in den Trabverstärkungen sieht man keine Rahmenerweiterung, Piaffe/Passage ist immer extrem ausdrucksstark, da auch mit viel besserer Hinterhandaktion, der Schritt ist mäßig bis schlecht (laufend, ohne Rahmenerweiterung, ohne Harmonie und innere Ruhe) und die Galopptour ist tendenziell spannig und kann mit der Trabtour nicht mithalten. Insgesamt ähnelt sich die Trabaktion der Pferde bei den Holländern sehr stark und mir kommt es immer vor, als laufen die Pferde auf „heißen Kohlen“.  In der Form und Ähnlichkeit ist mir das vorher nicht aufgefallen, das fand ich sehr schade. Zumal die Richter das ganze nicht so kritisch zu sehen scheinen.

Um zu etwas positivem zu kommen: Ich mag die Spanier und Portugiesen. Ich finde es toll, dass diese Rassen international dabei sind. Natürlich haben die Schwächen im Galopp und im Schritt, aber insbesondere der Portugiese Goncalo Carvalho mit seiner erst 9-jährigen Lusitanostute Batuta hat mich mit der wahnsinnigen Piaffe-/Passagetour und hervorragenden Trabverstärkungen begeistert. Auch die Engländer mit ihrer feinen und korrekten Reitweise gefallen mir sehr, insbesondere Carl Hester ist einfach toll reiten zu sehen. Er hatte ein eher „normales“ Pferd, welches er unheimlich exakt und harmonisch vorstellte. Das ist genau die Art Dressur wie man sie sich wünscht.
Letzter Starter im Grand Prix Spacial war dann Edward Gal mit Undercover. Die Bilder habt ihr bestimmt bereits mitbekommen, selbst im Viereck ritt er den Wallach derart eng und spannig, dass Undercover mehr ins Viereck hüpfte als zu galoppieren, statt anzuhalten passagierte er nur noch und war auch nicht in der Lage zu traben, weil das ganze Pferd derart unter Spannung stand. Nun kann man sich natürlich fragen, hat er den Wallach schlichtweg „über die Uhr geritten“, hat das Pferd ihm damit die Quittung für diese Reitweise erteilt oder (wie er es danach behauptete) sei Undercover nur aufgeregt gewesen, weil er das letzte Pferd auf dem Abreiteplatz war??

Wie auch immer, es war ein trauriges Bild und das ganze Stadion applaudierte, als er dann wegen blutigem Schaum vor dem Maul abgeklingelt wurde. Ich glaube, ich war nicht die einzige, die einfach froh war, dass dieses Paar am Sonntag in der Kür somit nicht starten durfte. Es sind mittlerweile Bilder vom geheimen Training am Freitg aufgetaucht, die noch viel schlimmer sind, als das was ich am Samstag morgen beobachten musste:

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Man kann nur hoffen, dass die FEI diese Reitweise nicht länger toleriert und strenger abstraft. Neben dem Hoffen können wir aber auch etwas tun: es gibt eine aktuelle Petition gegen die Rollkur, mehr Information gibt es hier:

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Noch ein Nachsatz zum Grand Prix Special: Es gab noch ein weiteres Pferd, welches sich gegen seinen Reiter wehrte. Erinnert ihr noch den Skandal, als Patrick Kittels Pferd eine ganz blaue Zunge hatte, weil die Kandare so zugeschnürt wurde? Im Grand Prix kam er genau bis zur ersten Piaffe, das wehrte sich sein Pferd gegen die Hand und stieg, so dass er aufgeben musste.

Insgesamt war das Bild also sehr gemischt, im großen Stadion sind die Reiter zwar deutlich weiter weg als im Dressurstadion, man konnte aber die Fehler gut sehen, und erstaunlicherweise gab es kaum einen fehlerfreien Ritt. Selbst vermeintlich „einfache Dinge“ wie eine geschlossene Grußaufstellung zu Beginn sind auch auf dem Niveau keine Selbstverständlichkeit. Super fand ich, dass zum Einen die Noten der laufenden Lektion und das vorläufige Ergebnis immer zu sehen waren, und man über die Aachen App sogar selbst mitrichten konnte. Das hat total Spaß gemacht. Das Publikum in Aachen gilt immer als sehr fachkundig, und das hörte man auch: ein etwas hinten kurzgesprungener Einerwechsel, und das ganze Stadion stöhnte auf. Das ist schon besonders, dass bei der Dressur so mitgefiebert wird!
Am Sonntag stand dann das große Finale an, die Grand Prix Kür. Hier waren die Ritte insgesamt harmonischer und schöner anzusehen, die deutschen Reiter boten allesamt einen tollen Anblick und das Ergebnis war dann auch denkbar knapp.

Hier sind ein paar Eindrücke der Kür. Isabell Werth und Don Johnson:

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Beatrice Ferrer-Salat und Delgado:

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Kristina Bröring-Sprehe und Desperados:
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Und zu guter Letzt: Charlotte Dujardin und Valegro:

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Die große Debatte nach dem Finale ging natürlich darum, ob Valegros knapper Sieg trotz Fehler in den Einerwechseln gerechtfertigt war, oder ob Kristina Bröring-Sprehe mit Desperados, die eine fehlerlose und wunderbare Kür ritt, nicht den Sieg mehr verdient gehabt hätte. Ja, auch ich hätte ihr den Sieg gewünscht. Aber so ist der Sport, die Einerwechsel von Dujardin und Valegro wurden mit einer 4 bewertet und trotzdem hatte sie so viel Vorsprung, dass es eben noch knapp für den Sieg gereicht hat. Das ist nun mal Dressur. Am Ende bleibt der tolle Eindruck, den alle drei deutschen Reiterinnen hinterlassen haben. Wenn nun Bella Rose noch wieder fit wird, haben wir aus meiner Sicht sehr gute Chancen für Rio 2016.

Ein Name ist hier noch nicht gefallen, dafür aber aus meiner Sicht mehr als genug in den Medien: Totilas. Als ich ankam, war er wohl schon auf dem Weg in die Klinik, daher gibt es über ihn nichts zu berichten, sondern nur gute Besserung zu wünschen und zu hoffen, dass alle Beteiligten aus der Geschichte lernen, denn dem Sport und dem Ansehen des deutschen Teams hat das sicherlich nicht geholfen.

Und umm nochmal auf das Thema Shoppen zu kommen: Aachen ist sehr verlockend, was den Ausstellerbereich angeht. Dem konnte ich mich auch nicht ganz entziehen und habe einige Schnäppchen für Püppi und mich mit nach Hause genommen:

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Als Fazit kann ich sagen, dass Aachen wirklich eine Reise wert ist. Der Sport, die Atmosphäre, das ganze Drumherum ist mehr als besonders und mich motiviert es sehr was die eigene Reiterei angeht. Auf der anderen Seite blieb in diesem Jahr der fade Beigeschmack, dass der Dressursport sich momentan mehr und mehr in unterschiedliche Lager aufteilt. Zum Glück haben bei den Einzelmedaillen die „Richtigen“ gewonnen aus meiner Sicht. Aber dass die Niederlande mit deren Reitweise die Goldmedaille in der Mannschaft holen, ist aus meiner Sicht eine Honorierung eines kranken Systems, bei dem am Ende alle verlieren: Der Sport, die Reiter und am meisten die Pferde.

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von

Dressurreiterin (33) aus Hamburg mit Püppi, 10-jähriger Hannoveraner Stute im Viereck unterwegs. Mehr über uns findet ihr in Püppis Tagebuch.

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